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Odins Insel

Odins Insel

Titel: Odins Insel
Autoren: Janne Teller
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genauso wie es denen von der Insul verboten sein soll, mit ihrem Fuss anderes Lant zu treten. Es ist strenge verboten, der Insul Erwähnung zu tun oder auch in jedweder Manier in ambetlichen oder privat Gespraechen ihres Daseins zu erinnern. Die Übertretung dieses Gesetzes wirt geahndet mit dem Tod durch Strangulieren.«
     
    Die Königin hatte fertig gelesen, aber der König schwieg. Erst nach langem Schweigen fragte er rau: »Ich kann mich doch darauf verlassen, dass das echt ist?«
    »Natürlich. Und ich verlasse mich darauf, dass Ihre Majestät bei sorgfältiger Suche in den eigenen Verstecken und denen Ihrer Vorgänger höchstwahrscheinlich das Gegenstück zu dieser Absprache finden wird«, sagte die Königin scharf, korrigierte sich dann und fuhr freundlicher fort: »Sollten die Bibliotheken Ihrer Majestät jedoch nicht vollständig sein, sind Ihre Experten
in Fredenshvile willkommen, die Echtheit der Version zu prüfen, die mir vorliegt.«
    Wieder herrschte langes Schweigen, aber die Königin wusste, dass sie gewonnen hatte.
    »Ich bin überzeugt, dass Ihre Majestät darin mit mir übereinstimmen, dass wir umgehend unsere Regierungen einberufen und bitten müssen, diese Absprache, die zwischen König Enevold IV. und König Hermod Skjalm am 24. Dezember 1618 bezüglich Herrn Odins Insel getroffen worden ist – geringfügig auf die Erfordernisse unserer Verfassungen angepasst – unverzüglich anzuerkennen.«
     
    Sigbrit Holland öffnete die Tür des Steuerhauses und ging mit einer Tüte Brotkrumen in jeder Hand an Deck. Es war kalt, das Eis lag dick auf den Deckplanken und schloss sich langsam über dem Wasser des Kanals. Es war erst acht Uhr, aber es war bereits seit vielen Stunden dunkel. Die Straßen waren vollkommen leer, aber einige Enten wärmten sich dicht am Bug der Rikke-Marie. Sigbrit Holland warf ein paar Brotkrumen zu ihnen hinunter, während sie leise sang: »Sie sollen auch wissen, dass Weihnachten ist …«
    Sie ging wieder hinein. Das Steuerhaus war warm, der Petroleumofen brannte auf der höchsten Stufe, und ein Kessel kochte über der Gasflamme. Sigbrit Holland machte sich eine Kanne Tee und setzte sich an den Tisch, auf dem bereits eine Schüssel mit Keksen stand. Dann holte sie sich ein Buch und begann zu lesen. Aber sie konnte sich nicht konzentrieren. Die Buchstaben tanzten vor ihren Augen, und sie merkte, dass sie mehrere Seiten gelesen hatte, ohne zu verstehen, was dort stand. Sie seufzte. Es war merkwürdig leer im Fischerboot ohne den Fischer Ambrosius, ohne Odin und ohne Harald Adelstensfostre. Gunnar der Kopf feierte den Abend mit Freunden, sodass sie ganz allein war. Sigbrit Holland holte einen Kugelschreiber und einen Notizblock und machte eine Liste von den Dingen, die sie erledigen musste. Zuerst musste sie einen Weg finden, die Königin zum Reden zu bringen, dann musste sie die Bilder von Odin sowie seinen Brief abliefern, aber das war ja erst der Anfang. Selbst wenn
die Königin und die Regierung davon überzeugt werden konnten, dass die alte Absprache immer noch Gültigkeit hatte, würde das die Frommen nicht beruhigen. Nein, sie musste hinausgehen und mit den Leuten reden, ihnen erklären, wie sich in Wirklichkeit alles verhielt. Aber wo sollte sie anfangen? Eine Möglichkeit war, mit der Rikke-Marie, die die meisten mit Odin in Verbindung brachten, herumzusegeln und dabei den Leuten in den verschiedenen Teilen des Landes zu erklären, wer Odin in Wirklichkeit war. Aber warum sollten die Weltuntergangspropheten ihr glauben? Wie sollte sie sie davon überzeugen, dass ihre Version der Begebenheiten richtiger war als ihre? Ja, woher wusste sie das eigentlich selbst? Sie lachte laut, daran konnte wohl kein Zweifel bestehen. Oder doch?
    Plötzlich legte sich das Boot auf die Seite, sodass ihr Tee beinahe über die Tischkante rutschte. Langsame Schritte schlurften über Deck, als fiele es der Person draußen schwer zu gehen. Dann erklang ein leises Klopfen an der Tür. Sigbrit Hollands Herz schlug schneller. Sie versuchte durch das Fenster hinauszusehen, aber es war zu dunkel. Sie konnte nur einen Schatten erahnen. Das leichte Klopfen ertönte wieder, diesmal noch schwächer als vorher, und Sigbrit Holland machte resolut die Tür auf.
    »Was ist passiert?«, keuchte sie.
    Der Fremdling antwortete nicht, sondern sank lediglich vor ihren Füßen zusammen. Sein Gesicht und seine Kleidung waren blutverschmiert, und sein Mantel war zerrissen und hatte große Löcher. Sigbrit Holland
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