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Odins Insel

Odins Insel

Titel: Odins Insel
Autoren: Janne Teller
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mit den zwei Pferden zu, von denen eins ein gebrochenes Bein hatte.
     
    Während all dies geschah, war Odin eine Idee gekommen. Er hatte den Schlittenstrang auf Baltazars Seite gelockert und war nun dabei, diesen mit einem Stück Riemen, das er aus Rigmaroles Geschirr gelöst hatte, zusammenzubinden, sodass der Zug auf beiden Seiten gleich stark sein würde, auch wenn nur ein Pferd zog. Doch war das Leder durch den starken Frost steif und widerspenstig geworden, und Odin wollte es kaum gelingen, dass die Riemen ihm gehorchten. Er zog und mühte sich, und bald rann ihm der Schweiß über die Stirn und trübte seinen Blick. Trotzdem ließ sich der widerspenstige Knoten nicht um einen Millimeter fester ziehen. Rigmarole betrachtete die Anstrengungen ihres Herrn mit großen, traurigen Augen, während sie darum kämpfte, auf ihren drei belastbaren Beinen das Gleichgewicht zu halten. So war Baltazar der Erste, der die zwei Kinder entdeckte, die sich dem Schlitten näherten. Er drehte den Kopf, um sie besser sehen zu können, und diese Bewegung veranlasste Odin aufzublicken.
    »Sieh mal an, sieh mal an«, murmelte er, ohne sein Tun zu unterbrechen.
    Ida-Anna und Ingolf blieben ungefähr zehn Meter von dem Schlitten entfernt stehen. Auch wenn Ida-Anna es nur ungern zugab, war sie bereit, sich augenblicklich umzudrehen und das Weite zu suchen, falls irgendetwas Unerwartetes passieren
sollte. Aber es passierte nichts. Der Fremde band nur weiter das Geschirr mit großen unförmigen Knoten zusammen, wobei er eine seltsame Melodie pfiff, und die Pferde standen ganz still. Vorsichtig kamen die Kinder näher, machten einen Schritt nach dem anderen, zögerten dann einen Augenblick, bevor sie es wagten, wieder einen Fuß vor den anderen zu setzen, und erst als sie nur noch wenige Meter von dem Fremden entfernt waren, bemerkten sie, wie klein er war; nicht viel größer als sie selbst. Auch die Pferde, die aus der Entfernung so riesig ausgesehen hatten, waren kaum größer als die Ponys, die auf dem Feld gegenüber spielten. Aber die Pferde des Fremden waren kräftiger als alle Pferde, die Ida-Anna jemals gesehen hatte. Ihre Beine waren so kräftig wie die des Schmieds, ihre Rücken so breit wie der Esstisch ihrer Mutter, und ihr Fell so dicht und abstehend wie ihr eigenes Haar. Doch das Merkwürdigste an ihnen war ihre Farbe. Beide Pferde waren gelb mit schwarzen Mähnen und schwarzen Schweifen. Doch das Gelb glich mehr dem Licht der Sonne als der Farbe Gelb und das Schwarz mehr dem Dunkel der Nacht als der Farbe Schwarz. Ida-Anna schüttelte den Kopf; noch nie hatte sie etwas Ähnliches gesehen.
    Odin beachtete die Kinder nicht, sondern arbeitete weiter an dem Geschirr, und Ida-Anna und Ingolf kamen noch ein paar Schritte näher. Mit ausgestreckter Hand hätte Ida-Anna Rigmarole nun berühren können, die die beiden Kinder misstrauisch von der Seite beäugte und nicht genau wusste, was sie von der Situation halten sollte. Doch das Pferd hatte ein sanftes Gemüt, und ungeachtet seines beklagenswerten Zustands hob es den Kopf und gab ein freundliches Schnauben von sich. Das Schnauben ließ Ida-Anna ihre Angst vergessen, und sie streckte die Hand flach aus, wie der Schmied es sie gelehrt hatte. Und sie hatte tatsächlich nichts zu befürchten. Das Pferd schnüffelte vorsichtig an ihrer Hand und stieß Luft aus den Nüstern, bis Ida-Annas Hand so kitzelte, dass sie laut lachen musste.
    »Sieh mal an, sieh mal an. Du hast also Freunde gefunden.« Odin richtete sich auf und tätschelte seinem Pferd den Hals. Dann sah er zu den Kindern hinüber. Beide waren von Kopf bis Fuß in dicke Sachen gehüllt, und nur ihre rotwangigen Gesichter
waren zu sehen. Mit ihren grau-blauen Augen, ihren sommersprossigen Stupsnasen und ihren rotblonden Stirnlocken, die aus ihren grauen Mützen herausguckten, sahen sie sich sehr ähnlich. Nur war das Mädchen einige Zentimeter größer als der Junge, und sie machte unmissverständlich den Eindruck, die Führende zu sein. Odin wandte sich mit aller Höflichkeit, von der er fühlte, dass die Umstände sie erforderten, ihr zu. »Guten Tag, guten Tag.« Er verneigte sich tief und berührte fast mit der Stirn den Schnee.
    »Guten Tag«, murmelte Ida-Anna, und weil sie nicht wusste, was man zu einem Fremden sagt und es sehr ungezogen wäre, überhaupt nichts zu sagen, sprach sie ein paar tröstende Worte zu dem Pferd, das ein Bein gebrochen hatte.
    Odin trocknete sich die Stirn mit dem Ärmel ab.
    »Entschuldigung,
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