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Die Revolte des Koerpers

Die Revolte des Koerpers

Titel: Die Revolte des Koerpers
Autoren: Alice Miller
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Vorwort
     
    Das Hauptthema all meiner Bücher ist die Verleugnung des Leidens unserer Kindheit. Jedes der Bücher kreist um einen bestimmten Aspekt dieses Phänomens und beleuchtet ein Gebiet stärker als die anderen. Ich habe zum Beispiel in Am Anfang war Erziehung und in Du sollst nicht merken die Ursachen und Folgen dieser Verleugnung herausgearbeitet. Später zeigte ich deren Konsequenzen im Leben des Erwachsenen und der Gesellschaft (beispielsweise in Kunst und Philosophie in Der gemiedene Schlüssel, in Politik und Psychiatrie in Abbruch der Schweigemauer). Da die einzelnen Aspekte nicht vollständig voneinander zu trennen sind, ergaben sich selbstverständlich Überschneidungen und Wiederholungen. Doch der aufmerksame Leser wird leicht erkennen, daß diese sich jeweils in einem anderen Zusammenhang befinden und von einem anderen Standpunkt aus betrachtet werden.
     
    Unabhängig jedoch vom Kontext ist mein Gebrauch bestimmter Begriffe. So verwende ich etwa das Wort »unbewußt« ausschließlich zur Bezeichnung verdrängter, verleugneter oder abgespaltener Inhalte (Erinnerungen, Emotionen, Bedürfnisse). Das Unbewußte jedes Menschen ist für mich nichts anderes als seine Geschichte, die in ihrer Totalität zwar im Körper gespeichert ist, aber unserem Bewußtsein nur in kleinen Teilen zugänglich bleibt. Dementsprechend gebrauche ich das Wort »Wahrheit« niemals in einem metaphysischen Sinn, sondern in einem subjektiven, stets bezogen auf das konkrete Leben des einzelnen. Ich spreche oft von »seiner« bzw. »ihrer« Wahrheit, von der Geschichte der Betroffenen, die in deren Emotionen signalisiert und bezeugt wird (vgl. etwa S. 31 u. S. 147f). Als Emotion bezeichne ich eine nicht immer bewußte, aber oft lebenswichtige körperliche Reaktion auf äußere oder innere Vorgänge, wie etwa Angst vor dem Gewitter oder Wut bei der Feststellung, daß man betrogen wurde, oder Freude über ein erwünschtes Geschenk. Das Wort Gefühl bedeutet hingegen eher eine bewußte Wahrnehmung der Emotion (vgl. z.B. S. 31, 109f. u. S. 151f.). Emotionale Blindheit ist daher ein teuer erkaufter und zumeist (selbst) destruktiver Luxus (vgl. AM 2001).
     
    In diesem Buch geht es um die Frage, welche Konsequenz die Verleugnung unserer wahren und starken Emotionen für den Körper hat. Diese wird uns auch von Moral und Religion abverlangt. Aufgrund meiner Erfahrungen mit der Psychotherapie, meiner eigenen und der sehr vieler Menschen, bin ich zu dem Ergebnis gekommen, daß die in ihrer Kindheit mißhandelten Menschen nur mit Hilfe einer massiven Verdrängung und Abspaltung ihrer wahren Emotionen versuchen können, das Vierte Gebot zu befolgen. Sie können ihre Eltern nicht ehren und lieben, weil sie sie immer noch unbewußt fürchten. Auch wenn sie sich das wünschen, können sie kein entspanntes, vertrauensvolles Verhältnis entwickeln.
    Was sich gewöhnlich feststellen läßt, ist vielmehr eine krankmachende Bindung, die aus Angst und Pflichtgefühl besteht, die sich aber kaum als echte Liebe bezeichnen läßt, sondern als ein Schein, eine Fassade. Hinzu kommt, daß Menschen, die in der Kindheit mißhandelt wurden, oft ihr Leben lang hoffen, endlich die Liebe zu erhalten,die sie nie erfahren haben. Diese ihre Erwartungen verstärken ihre Bindung an die Eltern, die in der Religion als Liebe bezeichnet und als Tugend gelobt wird. Leider geschieht dies auch in den meisten Therapien, weil sie von der traditionellen Moral beherrscht sind. Doch den Preis für diese Moral bezahlt der Körper.
    Wenn ein Mensch glaubt, daß er das fühlt, was er fühlen sollte, und ständig versucht, das nicht zu fühlen, was er sich zu fühlen verbietet, wird er krank, es sei denn, er läßt seine Kinder die Rechnung bezahlen, indem er sie als Projektionsfläche für uneingestandene Emotionen benutzt. Ich meine hier auf eine psychobiologische Gesetzmäßigkeit gestoßen zu sein, die sehr, sehr lange durch religiöse und moralische Forderungen zugedeckt war.
    Der erste Teil dieses Buches zeigt diese Gesetzmäßigkeit anhand mehrerer Lebensläufe berühmter Persönlichkeiten auf. Die beiden folgenden Teile weisen auf Wege der echten Kommunikation hin, die aus dem Teufelskreis des Selbstbetrugs herausfuhren und eine Befreiung von Symptomen ermöglichen können.

Einleitung: Körper und Moral
     
    Nicht selten reagiert der Körper mit Krankheiten auf die dauernde Mißachtung seiner lebenserhaltenden Funktionen. Zu ihnen gehört die Treue zu unserer wahren
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