Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oder sie stirbt

Oder sie stirbt

Titel: Oder sie stirbt
Autoren: Gregg Hurwitz
Vom Netzwerk:
unnötig aufregen, andererseits wollte ich ihr aber auch nichts verheimlichen.
    Bevor ich zu einem Entschluss gekommen war, erschien sie mit dem Frühstückstablett. Sie hatte geduscht, sich angezogen und eine Blüte aus ihrem Gewächshaus hinters linke Ohr gesteckt, was einen wunderbaren Kontrast zu ihrem dunkelbraunen, lockigen Haar bildete. Instinktiv schaltete ich den Fernseher aus. Sie blickte zum DVD -Player, wo immer noch das grüne Licht leuchtete. Ohne das Tablett loszulassen, schnipste sie mit dem Daumen gegen ihren Ehering, ein nervöser Tick von ihr. »Was schaust du da an?«
    »Ach, bloß was von der Schule«, meinte ich. »Musst dir keine Gedanken machen.«
    »Wieso sollte ich mir da Gedanken machen?«
    Es entstand eine kurze Pause, während ich überlegte, was ich darauf antworten sollte. Mehr als ein gespielt lässiges Schulterzucken wollte mir nicht einfallen.
    Mit dem Kinn deutete sie auf den schmalen Streifen Schorf an den Knöcheln meiner linken Hand.
    »Was ist dir da denn passiert, Patrick?«
    »Hab mich in der Autotür eingeklemmt.«
    »Diese Tür ist neuerdings echt tückisch.« Sie stellte das Tablett auf dem Tisch ab. Pochierte Eier, Toast, Orangensaft. Ich ließ meine Augen auf ihr ruhen. Karamellbraune Haut, schwarzbraune Mähne, große dunkle Augen. Sie war ein Jahr älter als ich, aber ihren Genen hatte sie es zu verdanken, dass sie jünger wirkte als ihre fünfunddreißig Jahre. Obwohl sie im Valley aufgewachsen war, war sie ein wilder mediterraner Mix – griechisch, italienisch, spanisch, sogar ein bisschen türkisch. Und die besten Züge jedes Volkes hatten sich in ihren Gesichtszügen niedergeschlagen. Zumindest hatte ich es immer so gesehen. Als ich sie betrachtete, musste ich daran denken, wie unser Verhältnis früher gewesen war – da lag meine Hand beim Essen auf ihrem Knie, ich spürte die Wärme ihrer Wange, wenn sie aufwachte, und wenn wir im Kino waren, kuschelte sie den Kopf in meine Armbeuge. Mein Ärger auf sie begann zu verfliegen, also konzentrierte ich mich schnell auf den schwarzen Bildschirm.
    »Danke«, sagte ich mit einem Blick auf das Frühstückstablett. Meine dilettantische Detektivarbeit hatte mich schon zehn Minuten meines Tagesplans gekostet. Offensichtlich war mir meine Nervosität deutlich anzumerken, denn sie sah mich noch einmal stirnrunzelnd an, bevor sie sich zurückzog.
    Ohne das Essen anzurühren, stand ich auf und trat noch einmal vor die Haustür. Ich ging auf die Seite mit unserem Badezimmerfenster, die dem Haus der Millers gegenüberlag. Natürlich war auf dem nassen Gras unter dem Fenster unserer Nachbarn keine Spur zu sehen, und der Täter hatte es leider versäumt, ein hilfreiches Notizbüchlein, eine Zigarettenkippe oder einen zu kleinen Handschuh zu verlieren. Ich machte einen Schritt zur Seite, bis die Perspektive stimmte. Da überkam mich eine gewisse Vorahnung, und ich warf einen Blick über die Schulter, einmal rechts, einmal links, ohne dass das meine Nerven beruhigt hätte. Während ich durch die Lamellen der Fensterläden spähte, erwartete ich halb, mich gleich selbst mit gestreiften Boxershorts ins Badezimmer kommen zu sehen, wie in einer surrealen Zeitschleife.
    Stattdessen erschien Ariana in der Tür und sah zu mir hinaus. »Was
machst
du da?«, las ich von ihren Lippen.
    Der Schmerz in meinen Fingerknöcheln verriet mir, dass ich die Fäuste ballte. Ich atmete aus und entspannte die Hände. »Ich hab nur den Zaun überprüft, der sackt dahinten so weg.« Dabei deutete ich idiotisch auf den Zaun. Guck. Da. Zaun.
    Schmunzelnd schloss sie die Fensterläden von innen und klappte den Klodeckel herunter.
    Ich ging zurück ins Haus, setzte mich wieder aufs Sofa und sah die DVD ein viertes Mal an. Dann nahm ich die DVD aus dem Player und starrte auf das Logo. Dieselbe Billigmarke, auf der ich manchmal Fernsehserien aufnahm. Bewusst nichtssagend.
    Ariana kam ins Zimmer und warf einen Blick auf das Frühstück, das ich immer noch nicht angerührt hatte. »Ich versichere dir, ich hab’s nicht vergiftet.«
    Widerwillig musste ich grinsen. Als ich aufblickte, war sie schon auf dem Weg zur Treppe.
     
    Ich warf die DVD auf den Beifahrersitz meines klapprigen alten Toyota Camry, dann blieb ich vor der offenen Tür stehen und lauschte der Stille in der Garage.
    Früher hatte ich dieses Haus geliebt. Es lag ganz am Ende der Roscomare Road, in der Nähe des Mulholland Drive, und wir konnten es uns nur deshalb leisten, weil es im selben Viertel
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher