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Oder sie stirbt

Oder sie stirbt

Titel: Oder sie stirbt
Autoren: Gregg Hurwitz
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Wolken. Das passte haargenau zu meiner Laune. Der Winter in L.A. hatte wie immer spät begonnen und kam nur langsam in die Gänge. Aber gekommen war er doch, die Temperatur war auf acht Grad gefallen, und die Windschutzscheiben der geleasten Luxuslimousinen waren beschlagen.
    Ich fischte die tropfnasse Zeitung, die glücklicherweise in Plastikfolie eingeschweißt war, aus der Pfütze und ging wieder ins Haus. Im Wohnzimmer ließ ich mich aufs Sofa fallen, riss die Verpackung der
Times
auf und zog mir erst mal den Unterhaltungsteil heraus. Als ich ihn auseinanderfaltete, fiel mir eine DVD in einer durchsichtigen Hülle auf den Schoß.
    Ich starrte sie einen Moment an. Dann drehte ich sie um. Eine unbeschriftete CD , wie die Rohlinge, die man sich stapelweise abgepackt zum Selberbrennen kaufen konnte. Seltsam. Fast schon ominös. Ich stand auf, kniete mich auf den Teppich und schob sie in den DVD -Player. Um Ariana nicht zu wecken, stellte ich den Surround-Sound ab. Dann setzte ich mich vor den Plasmabildschirm, den wir uns voreilig gekauft hatten, als unser Kontostand noch nach oben tendierte.
    Ein paar visuelle Schluckaufs verzerrten das Bild, dann kam die beschauliche Nahaufnahme eines Fensters mit nicht ganz geschlossenen Fensterläden. Durch die Scheibe konnte ich einen Handtuchhalter aus gebürstetem Nickel und ein Standwaschbecken erkennen. Am Rand des Bildschirms sah man einen Streifen zartblauer Hauswand. Ich brauchte nur eine Sekunde, um das Bild aufzunehmen – es war mir so vertraut wie mein Spiegelbild, aber in diesem Zusammenhang doch seltsam fremd.
    Es war eine Aufnahme unseres Badezimmers im Erdgeschoss, von außen durchs Fenster gefilmt.
    Ein schwaches Pulsieren meldete sich in meinem Magen. Eine dumpfe Vorahnung.
    Das Bild war körnig, offensichtlich mit einer Digitalkamera gemacht. Allerdings ohne Zoom, denn die Tiefenschärfe ließ zu wünschen übrig. Die Kamera war wahrscheinlich nur wenige Meter von der Fensterscheibe entfernt, und sie bewegte sich die ganze Zeit nicht; wahrscheinlich war ein Stativ benutzt worden. Kein Ton, nur völlige Stille, die mir über den Nacken kroch und sich unter meine Haut fraß. Ich war wie gelähmt.
    Durch das Fenster und die halboffene Badezimmertür konnte man einen Streifen des Flurs erkennen. Ein paar Sekunden vergingen, ohne dass etwas geschah, dann ging die Tür auf. Das war ich. Ich trat ein, nur vom Hals bis zum Knie sichtbar, und überdies von den Lamellen der Fensterläden in Streifen geschnitten. In meiner blau-weiß gestreiften Boxershorts trat ich vor die Toilette und pinkelte. Ganz oben auf meinem Schulterblatt ein kaum erkennbarer blauer Fleck. Ich wusch mir die Hände am Waschbecken, dann putzte ich mir die Zähne. Ich ging hinaus. Der Bildschirm wurde schwarz.
    Während ich mir selbst zugesehen hatte, hatte ich mir die Innenseite meiner Wange aufgebissen. Dümmlich glotzte ich an mir herab, um festzustellen, was für Shorts ich eigentlich an diesem Tag anhatte. Karierter Flanell. Ich dachte an den Bluterguss, und mir fiel ein, dass ich mir in der Woche zuvor den Rücken an einer offenstehenden Schranktür gestoßen hatte. Ich versuchte, mich zu erinnern, an welchem Tag das gewesen war, da hörte ich plötzlich, wie Ariana in der Küche herumklapperte. Sie machte Frühstück. Unsere Wohnung mit den breiten Türen ist ziemlich hellhörig.
    Dass die DVD ausgerechnet in den Unterhaltungsteil der Zeitung gesteckt worden war, kam mir ziemlich hintersinnig vor. Ich drückte auf Play und sah mir das Ganze noch einmal an. Ein Scherz? Aber nichts daran war komisch. Im Grunde war es überhaupt nichts. Nur beunruhigend.
    Ohne das Kauen an meiner Wange zu unterbrechen, stand ich auf und ging ins Obergeschoss, vorbei an meinem Arbeitszimmer mit Blick auf den viel größeren Garten der Millers, und ins Schlafzimmer. Dort warf ich einen Blick in den Spiegel – der Bluterguss war immer noch da, gleicher Fleck, gleiche Größe und Farbe. In unserem begehbaren Kleiderschrank fand ich den Wäschekorb, und ganz obenauf prompt meine blau-weiß gestreifte Boxershorts.
    Am Tag zuvor also.
    Ich zog mich an und ging wieder ins Wohnzimmer. Nachdem ich meine Decke und das Kissen beiseitegeschoben hatte, setzte ich mich aufs Sofa und sah die DVD noch einmal an. Ihre Laufzeit betrug genau eine Minute und vierzig Sekunden.
    Selbst wenn das Ganze nur ein geschmackloser Scherz war – es war ungefähr das Letzte, was Ariana und ich derzeit brauchen konnten. Ich wollte sie nicht
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