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Oder sie stirbt

Oder sie stirbt

Titel: Oder sie stirbt
Autoren: Gregg Hurwitz
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gepolsterte Sitze und immer noch sechs Fenster. Ein mobiles Aquarium. Eine fahrende Gefängniszelle. Der einzige Raum in meinem Leben, in den nicht einfach jemand hineinspazieren und mich dabei ertappen konnte, wie ich mir gerade die Tränen verkniff und mir einzureden versuchte, dass ich es mal wieder durch einen Arbeitstag geschafft hatte. Das Auto war ziemlich lädiert, vor allem das Armaturenbrett: Das Plastik hatte Dellen, über dem Tacho war die Abdeckung gesprungen, und der Knopf für die Einstellung der Klimaanlage hing nur noch am seidenen Faden.
    Ich fuhr den Camry auf einen Parkplatz vor Bel Air Foods. Während ich die Gänge entlanglief, legte ich eine Banane und eine Tüte Studentenfutter in meinen Einkaufskorb sowie einen Eistee mit Ginkgo und Ginseng und noch eine Handvoll anderer Zutaten, die übernächtigten Typen auf die Sprünge helfen sollten. Als ich mich den Kassen näherte, fiel mein Blick auf Keith Conner, der mich von der Titelseite einer
Vanity-Fair
-Ausgabe ansah. Er lag in einer Badewanne, in der kein Wasser war, sondern nur Blätter, und die Schlagzeile lautete CONNER TAUSCHT GRÜN GEGEN GRÜN .
    »Wie geht’s Ariana?«, erkundigte sich Bill, der mich zu seiner Kasse winkte. Hinter mir wartete eine nervöse Mutter mit Kind und lächelte ungeduldig.
    Ein Plastikgrinsen erschien auf meinem Gesicht, so instinktiv wie ein nervöses Lachen. »Gut, danke.«
    Ich stellte meine Einkäufe aufs Band, und er tippte sie ein und meinte: »Du hast eine von den letzten Guten abgekriegt, das steht fest.«
    Ich lächelte. Die nervöse Mutter lächelte. Bill lächelte. Gott, was waren wir alle fröhlich.
    Im Auto drückte ich auf den Metallstift, auf dem früher einmal der Knopf fürs Radio gesteckt hatte. Bitte, lenkt mich ab. Nachdem ich den Hügel hinuntergefahren war, bog ich auf den Sunset Boulevard, auf dem wie immer fast nichts mehr voranging.
    Ich klappte die Sonnenblende herunter, an der mit einem Gummiband ein Foto befestigt war. Ungefähr sechs Monate zuvor hatte Ariana eine Online-Fotoseite aufgetan und mich wochenlang mit alten ausgedruckten Schnappschüssen gequält, die sie heimlich an allen möglichen Orten angebracht hatte. Ab und zu fand ich immer noch welche, Überbleibsel ihrer früheren Verspieltheit. Dieses hier hatte ich natürlich sofort entdeckt. Es zeigte Ariana und mich bei irgendeiner unerträglichen College-Veranstaltung. Ich trug ein Sakko mit Schulterpolster und – ich kann es leider nicht schönreden – hochgekrempelten Ärmeln, sie hatte ein bizarres Taftmonster an, das eher an ein aufblasbares Rettungsboot erinnerte. Wir schauten gleichermaßen unbehaglich wie amüsiert drein, weil wir uns schmerzlich bewusst waren, dass wir nur eine Rolle spielten, dass wir nicht dazugehörten, dass wir nicht hierherpassten wie all die anderen. Aber wir hatten trotzdem unseren Spaß dabei. Das konnten wir großartig.
    Du hast eine von den letzten Guten abgekriegt, das steht fest.
    Ich schlug aufs Armaturenbrett, um den Schmerz in den Knöcheln zu spüren. Und noch einmal und noch einmal. Der Wundschorf brach auf, und ein Stechen durchzuckte mein Handgelenk. Jetzt war der Knopf für die Klimaanlage endgültig im Eimer. Schwer atmend sah ich mit brennenden Augen aus einem meiner sechs Fenster.
    Eine ältliche Blondine in einem roten Mustang musterte mich von der Nebenspur.
    Automatisch knipste ich wieder mein Plastiklächeln an. Sie schaute schnell weg. Und als die Ampel auf Grün sprang, verzogen wir uns jeder wieder schnell in sein eigenes Leben.

[home]
    4
    A ls ich mein Drehbuch verkauft hatte, war Ariana noch begeisterter als ich. Die Produktion begann relativ rasch. Bei den Verhandlungen mit den Studiovertretern, den Produzenten und dem Regisseur war ich zwar eingeschüchtert, gab mich aber bestimmt. Und Ariana sprach mir jeden Tag Mut zu. Ich kündigte meinen Job, was mir jede Menge Zeit ließ, mich manisch mit den Hochs und Tiefs des Projekts zu beschäftigen – ich interpretierte die Nuancen jeder zweizeiligen E-Mail, besprach Besprechungen, nahm auf dem Gehweg vorm Restaurant Handyanrufe entgegen, während drinnen meine Vorspeise kalt wurde und Ariana die ihre allein essen musste. Definitiv nicht die Kragenweite von Mr. Davis, Lehrer für amerikanische Literatur der zehnten Jahrgangsstufe. Ich musste mich für eine Rolle entscheiden, und ich entschied mich für die falsche.
    Folge deinem Traum,
heißt es immer. Aber niemand sagt einem, was man auf dem Weg dorthin alles
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