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Odd Thomas 4: Meer der Finsternis

Titel: Odd Thomas 4: Meer der Finsternis
Autoren: Dean R. Koontz
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Schnitten zu schützen.
    Träge geworden, wogte der Ozean rhythmisch und ohne Wucht zwischen den Pfeilern auf den Strand zu. So zahm er auch war, versuchte er letztlich doch, mich von meinem Halt wegzuziehen.

    Jede Minute, die ich mich festhielt, würde zusätzlich Kraft kosten. Mein nasses Sweatshirt kam mir vor wie eine schwere Bomberjacke.
    Auf den flüssigen Monolog des Meeres antwortete ein Murmeln und Flüstern am Boden des Piers, der für mich nun die Decke darstellte. Von oben her hörte ich weder Rufe noch das Donnern eiliger Schritte.
    Tageslicht, so trübe und grau wie Bilgewasser, drang in diesen geschützten Raum. Über mir verschwand eine Architektur aus dicken, senkrechten Pfosten, horizontalen Verbindungsbalken und Querstreben im Dunkel.
    Die Oberseite meines Pfeilers, auf dem sich einer der Holzpfosten erhob, befand sich weniger als einen Meter über meinem Kopf. Ich presste die Beine an den Beton und zog mich mit den Händen aufwärts. Immer wieder rutschte ich ein Stück zurück, gewann jedoch allmählich mehr an Höhe, als ich verlor.
    Die Muscheln am Pfeiler waren von der unbeweglichen Sorte und saßen eng am Beton. Während ich mich Stück für Stück aus dem Wasser zog, splitterten und brachen ihre Schalen, so dass die Luft noch kalkiger roch und schmeckte als vorher.
    Für die Muschelkolonie war dies zweifellos eine echte Katastrophe. Ich bedauerte die Zerstörung, die ich anrichtete, durchaus, aber doch weniger, als ich es getan hätte, wenn ich mich, von meinen nassen Kleidern beschwert und geschwächt, im Seetang verfangen hätte und ertrunken wäre.
    Der Betonpfeiler hatte einen Durchmesser von etwa achtzig Zentimetern, der Pfosten darauf war halb so dick. Massive Stahlschrauben mit Ösen waren tief ins Holz getrieben worden, wahrscheinlich, um beim Bau als Handgriff und zur Verankerung von Seilen zu dienen. Mit ihrer Hilfe zog ich
mich schließlich auf die schmale Kante, die sich durch die unterschiedliche Größe von Pfeiler und Pfosten ergab.
    Dann stand ich tropfend und zitternd auf den Zehen und versuchte, die positive Seite meiner aktuellen Lage zu ergründen.
    Pearl Sugars, meine Oma mütterlicherseits, eine professionelle Pokerspielerin mit einer Vorliebe für schnelle Autos und Alkohol, hatte mir immer eingeschärft, in jeder Zwangslage das Positive zu sehen.
    »Wenn du dir anmerken lässt, dass du dir Sorgen machst«, hatte Oma Sugars gesagt, »dann machen die Schweinehunde dich fertig und marschieren am nächsten Tag in deinen Schuhen durch die Gegend.«
    Sie reiste zu privaten Pokerrunden durchs Land, bei denen es um hohe Einsätze ging. Ihre Gegner waren Männer, die großteils nicht gerade nett und in manchen Fällen sogar gefährlich waren. Ich hatte ihren Rat zwar akzeptiert, aber wenn ich daran dachte, kam mir unweigerlich das Bild eines harten Typen in den Sinn, der finster blickend in Omas Stöckelschuhen umherstolzierte.
    Während mein Herzschlag sich normalisierte und ich langsam zu Atem kam, fiel mir tatsächlich ein positiver Aspekt meiner Lage ein: Sollte ich wider Erwarten alt und grau werden - wenn auch einäugig, einarmig, einbeinig und haarlos -, dann musste ich mich wenigstens nicht über ein langweiliges Leben beklagen.
    Offenbar hatten die Dunkelheit und das trübe Wasser verhindert, dass der Kerl mit Kinnbart und die zwei Brüder gesehen hatten, wie ich unter dem Pier verschwunden war. Wahrscheinlich hatten sie sich deshalb am Strand postiert, um mich in Empfang zu nehmen, wenn ich an Land schwamm.
    Ich war zwar in der Nähe der Beobachtungsplattform vom
Pier gesprungen, aber danach hatte die Strömung mich näher ans Ufer gedrückt. Die Mitte des Piers hatte ich jedoch noch nicht erreicht.
    Von meiner Warte aus sah ich den Strand, aber nur sehr verschwommen. Falls dort tatsächlich jemand patrouillierte, konnte er mich in der zunehmenden Dunkelheit wohl ebenfalls nicht erkennen.
    Darauf verlassen wollte ich mich jedoch nicht, denn wenn ich mich nicht gerade Hals über Kopf ins Wasser stürze, bin ich ein vorsichtiger junger Mann. Deshalb hielt ich es für klüger, erst einmal ein Stück weiter nach oben zu klettern.
    Hatte ich irgendeinen halbwegs gemütlichen Ort gefunden, wollte ich dort hocken bleiben, bis die drei Schlägertypen überzeugt waren, ich sei ertrunken. Wenn sie sich davonmachten, um in irgendeiner schäbigen Kneipe ein Bier auf meinen Tod zu heben, konnte ich ungefährdet ans Ufer gelangen und nach Hause gehen, wo Hutch auf seinen Tsunami
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