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Echte Biester: Roman (German Edition)

Echte Biester: Roman (German Edition)

Titel: Echte Biester: Roman (German Edition)
Autoren: Carl Hiaasen
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1
    Seit ihm ein toter Leguan von einer Palme auf den Kopf gefallen war, konnte Mickey Cray keine Aufträge mehr annehmen.
    Der Leguan, der bei einem plötzlichen Kälteeinbruch verendet war, wog siebeneinhalb Pfund und war steif wie ein Brett. Nachdem Mickeys Sohn die tote Echse auf einer Fischwaage gewogen hatte, legte er sie im Kühlhaus hinter der Garage auf Eis, direkt neben das Grünzeug für die Schildkröten.
    Das geschah, nachdem die Ambulanz Mickey ins Krankenhaus gebracht hatte, wo die Ärzte eine schwere Gehirnerschütterung feststellten und ihm empfahlen, eine Weile kürzerzutreten.
    Und zu jedermanns Überraschung befolgte Mickey diesen Rat. Der Grund dafür war, dass er seit dem Zusammenstoß mit dem Leguan alles doppelt sah und entsetzliche Kopfschmerzen hatte. Er verlor den Appetit, nahm neunzehn Pfund ab und lag den ganzen Tag auf der Couch, um sich im Fernsehen Naturfilme anzusehen. »Ich werde nie wieder der Alte sein«, teilte er seinem Sohn mit.
    »Nun mach mal halblang, Pop«, erwiderte Wahoo, Mickeys Junge.
    Den Vornamen hatte Mickey ihm nach Wahoo McDaniel gegeben, einem Wrestler, der auch Football gespielt hatte und Linebacker bei den Dolphins gewesen war. Mickeys Sohn wünschte sich oft, sein Vater hätte ihn Mickey junior oder Joe oder Rupert oder sonst wie genannt – bloß nicht Wahoo, was auch die Bezeichnung für einen bestimmten Salzwasserfisch war.
    Außerdem war es schwierig, diesem Namen gerecht zu werden. Von jemandem namens Wahoo erwarteten die Leute automatisch, dass er eine große Klappe hatte und sich völlig verrückt benahm, doch das war überhaupt nicht Wahoos Art. Anscheinend konnte er erst etwas gegen den Namen unternehmen, wenn er volljährig war. Sobald das der Fall war, beabsichtigte er zum Gericht von Cutler Ridge zu gehen und einem der dortigen Richter mitzuteilen, dass er einen normalen Namen haben wolle.
    »Du kommst schon wieder in Ordnung, Pop«, sagte Wahoo jeden Morgen zu seinem Vater. »Du darfst dich einfach nicht unterkriegen lassen.«
    Worauf Mickey Cray jedes Mal mit einem Dackelblick zu Wahoo hochsah und sagte: »Jedenfalls bin ich froh, dass wir diese Punktpunktpunkt-Echse gegessen haben.«
    An dem Tag, als sein Dad aus dem Krankenhaus entlassen worden war, hatte Wahoo den toten Leguan aufgetaut und einen Eintopf mit Pfefferkörnern daraus zubereitet, von dem seine Mom klugerweise keinen einzigen Bissen gegessen hatte. Mickey hatte steif und fest behauptet, der Verzehr des Viechs, das ihm den Schädel verbeult hatte, sei ein spirituelles Heilmittel. »Mächtige Medizin«, hatte er geraunt.
    Doch der Leguan hatte scheußlich geschmeckt und danach waren Mickey Crays Kopfschmerzen nur noch schlimmer geworden. Wahoos Mutter machte sich solche Sorgen, dass sie ihrem Mann riet, nach Miami zu fahren und einen Gehirnspezialisten aufzusuchen, was Mickey jedoch ablehnte.
    In all der Zeit riefen ständig Leute an, die neue Aufträge hatten und die Wahoo an andere Tiertrainer verweisen musste, denn sein Vater war nicht in der Lage zu arbeiten.
    Nach der Schule fütterte Wahoo nun immer die Tiere und mistete die Gehege und Käfige aus. Das Grundstück der Crays war buchstäblich ein Zoo – mit Alligatoren, Schlangen, Papageien, Hirtenmainas, Ratten, Mäusen, Affen, Waschbären und Schildkröten. Sogar einen kahlköpfigen Adler gab es, den Mickey großgezogen hatte, nachdem die Mutter getötet worden war.
    »Behandle sie wie Könige«, schärfte Mickey Wahoo ständig ein, denn die Tiere waren ziemlich wertvoll. Ohne sie wäre Mickey arbeitslos gewesen.
    Es beunruhigte Wahoo, dass sein Vater sich in so miserabler Verfassung befand, weil Mickey eigentlich der zäheste Kerl war, den er kannte.
    Kurz vor Sommeranfang nahm seine Mutter Wahoo eines Morgens beiseite und teilte ihm mit, dass die Ersparnisse der Familie fast aufgebraucht seien. »Deshalb fahre ich nach China«, fügte sie hinzu.
    Wahoo nickte, als sei das keine große Sache.
    »Für zwei Monate«, sagte sie.
    »Das ist eine lange Zeit«, erwiderte Wahoo.
    »Tut mir leid, mein Großer, aber wir brauchen das Geld wirklich dringend.«
    Wahoos Mutter war Lehrerin für Mandarinchinesisch, eine extrem schwierige Sprache. Mrs. Cray wurde regelmäßig von großen amerikanischen Unternehmen, die Niederlassungen in China hatten, damit beauftragt, den Führungskräften dieser Firmen Chinesischunterricht zu erteilen, doch normalerweise wurden diese Leute nach Südflorida eingeflogen, um dort von Mrs. Cray instruiert zu
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