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Odd Thomas 4: Meer der Finsternis

Titel: Odd Thomas 4: Meer der Finsternis
Autoren: Dean R. Koontz
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cool.«
    Währenddessen war der Muskelberg allmählich näher gekommen. Als er zu uns trat, fragte Nummer zwei ihn: »Hast du was von’nem Tsunami gehört?«
    »Eine sechs Meter hohe Welle kann die Ufermauer gut aushalten«, sagte ich aufgeregt, »aber die restlichen drei Meter - Mann! -, die werden die erste Häuserreihe da hinten einfach plattmachen.«
    Als ich mich umblickte, als wollte ich die mögliche Zerstörung einschätzen, sah ich erleichtert, dass Annamaria das Ende des Piers erreicht hatte.
    »Aber die Pfähle vom Pier sind tief im Boden versenkt«, fuhr ich fort. »Die werden das aushalten, da bin ich mir ziemlich sicher. Kein Problem. Meint ihr nicht auch, dass der Pier das aushält?«
    Die Mutter des Muskelbergs hatte ihm wahrscheinlich gesagt, er habe haselnussbraune Augen. Das stimmte aber nicht. Seine Augen waren nicht braun, sondern scheußlich gelb.
    Wären zudem seine Pupillen elliptisch und nicht rund gewesen, dann hätte man ihn für einen humanoiden Roboter halten können, in dessen Schädel ein intelligenter Mutantenkater saß und durch die leeren Augenhöhlen herausblickte. Kein netter intelligenter Mutantenkater natürlich.
    Seine Stimme passte allerdings nicht zu dieser Vorstellung, denn ihr Timbre erinnerte nicht an einen Kater, sondern an einen Bären. »Wer bist du?«
    Statt zu antworten, tat ich weiter so, als würde ich aufgeregt auf den angeblichen Tsunami warten. »Das Ding kann schon in wenigen Minuten anrollen«, sagte ich und sah auf
meine Armbanduhr. »Ich will da vorne auf der Plattform sein, wenn es kommt.«
    »Wer bist du?«, wiederholte der Muskelberg und legte mir die rechte Pranke auf die linke Schulter.
    Sobald er mich berührte, verschwand die Realität so schlagartig aus meinem Blick, als hätte bei einer Diaschau das Bild gewechselt. Ich stand nicht mehr auf dem Pier, sondern an der Küste, an einem Strand, auf dem der Widerschein von Feuer flackerte. Etwas Grelles, Grässliches stieg aus den Tiefen eines Meers empor, das in höllischem Licht pulsierte. Über der ganzen Szene breitete sich ein bedrohlicher Himmel aus.
    Der Alptraum.
    Im nächsten Augenblick war die Realität wieder da.
    Der Muskelberg hatte die Hand von meiner Schulter genommen. Mit weit aufgerissenen Augen starrte er auf seine gespreizten Finger, als wäre er von etwas gestochen worden. Vielleicht hatte aber auch er die rote Flut meines Traums gesehen.
    Noch nie zuvor hatte ich jemanden, der mich berührte, mit einem Traum, einer Vision oder einem Gedanken angesteckt, nur mit einem gewöhnlichen Schnupfen. Trotzdem erschrak ich nicht, denn solche Überraschungen bewahrten mich regelmäßig vor Langeweile.
    Der gelbe Blick richtete sich wieder auf mich wie die kalten Edelsteinaugen eines steinernen Götterbilds. »Wer zum Teufel bist du?«
    Der Ton seiner Stimme machte die Rotschöpfe darauf aufmerksam, dass etwas Ungewöhnliches geschehen war. Der mit der Hand in der Jacke zog eine Pistole heraus, und der mit den schlechten Zähnen griff nun ebenfalls in seine Jacke. Kaum, um Zahnseide hervorzuholen.

    Ich spurtete die drei Schritte bis zum Rand des Piers, hechtete übers Geländer und fiel wie ein Grillkoch durch Nebel und schwindendes Licht.
    Kalt und dunkel verschlang mich der Pazifik. Meine Augen brannten, während ich unter der Oberfläche dahinschwamm und gegen den Auftrieb des Salzwassers ankämpfte. Schließlich sollte das Meer mich nicht in eine von Kugeln durchlöcherte Dämmerung speien.

2
    Meine weit offenen Augen brannten, und ich spürte, wie mir die Tränen kamen.
    Ich ruderte mit Armen und Beinen, und das schwarze Wasser schien zuerst völlig lichtlos zu sein. Dann nahm ich ein mattgrünes, gleichmäßig verteiltes Phosphoreszieren wahr. Schwache, formlose Schatten bewegten sich darin, vielleicht vom Boden aufgewirbelte Sandwolken oder die langen, wogenden Stängel und Blätter von Seetang.
    Plötzlich verwandelte sich das trübe Grün in völlige Schwärze. Zwischen zwei der Betonpfeiler, auf denen die hölzernen Stützpfosten ruhten, war ich unter den Pier geschwommen.
    Einen blinden Augenblick später traf ich auf einen weiteren, über und über mit Muscheln bedeckten Pfeiler. Ich folgte ihm zur Oberfläche.
    Nach Luft ringend, die nach Jod und Teer roch und nach Salz und Kalk schmeckte, klammerte ich mich an den verkrusteten Beton. Die Muscheln unter meinen Händen waren glatt, aber auch scharfkantig, so dass ich die Ärmel meines Sweatshirts über die Hände zog, um mich vor
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