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Odd Thomas 4: Meer der Finsternis

Titel: Odd Thomas 4: Meer der Finsternis
Autoren: Dean R. Koontz
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wartete.
    Schraube um Schraube erklomm ich den Pfosten.
    Anfangs waren die Schrauben fest verankert. Wahrscheinlich sorgte die starke Feuchtigkeit in der Nähe der Wasseroberfläche dafür, dass das Holz aufgequollen war.
    Während ich langsam weiterkletterte, stellte ich jedoch fest, dass manche der höher angebrachten Schrauben sich in meinen Händen bewegten. Glücklicherweise trugen sie mein Gewicht, ohne sich zu lockern.
    Dann brach unter meinem rechten Fuß doch eine Schraube aus dem Pfosten. Klirrend prallte sie vom Beton unten ab. Ich hörte sogar das leise Klatschen, mit dem sie ins Meer fiel.
    An und für sich habe ich keine Angst vor Höhe oder Dunkelheit. Schließlich verbringen wir neun Monate in einem
schützenden Dunkel, bevor wir geboren werden, und bei unserem Tod streben wir in die höchste Höhe.
    Während ich in dem verlöschenden Tag weiterkletterte, wurden die Schatten tiefer und zahlreicher. Sie flossen ineinander wie die wogenden schwarzen Mäntel der Hexen, die sich in Shakespeares Macbeth um ihren Kessel versammeln.
    Seit ich für Hutch arbeitete, hatte ich einige von Shakespeares Dramen gelesen, die im Bücherschrank standen. Der berühmte Kriminalautor Ozzie Boone, mein Freund und Mentor aus Pico Mundo, wäre begeistert gewesen, hätte er gewusst, dass ich auf diese Weise meine Bildung erweiterte.
    An der Highschool hatte ich wenig Interesse gezeigt. Teilweise waren meine beschränkten schulischen Leistungen allerdings darauf zurückzuführen, dass ich nicht wie andere Schüler brav zu Hause bei der befohlenen Shakespeare-Lektüre hocken konnte, sondern - zum Beispiel - an zwei tote Männer gekettet und in der Mitte eines Sees von einem Boot geworfen wurde.
    Oder ich hing in einem Kühlraum gefesselt an einem Fleischerhaken und wartete in Gesellschaft eines lächelnden japanischen Chiropraktikers darauf, dass vier äußerst unfreundliche Männer zurückkehrten, um uns zu foltern, wie sie es angekündigt hatten.
    Oder ich war ins geparkte Wohnmobil eines reisenden Serienkillers eingedrungen, dessen Besitzer jeden Augenblick zurückkehren konnte. Dabei war ich auf zwei grimmige Kampfhunde getroffen, die entschlossen waren, mich am Verlassen des Fahrzeugs zu hindern. Wehren konnte ich mich lediglich mit dem, was ich vorgefunden hatte - mit einem rosa Staubwedel und sechs Dosen warmem Cola, die ich verzweifelt schüttelte, um die mordlüsternen Viecher mit dem hervorquellenden Schaum in die Flucht zu schlagen.

    Eigentlich hatte ich immer vorgehabt, meine Hausaufgaben zu machen. Aber wenn ständig Tote ankommen, die nach Gerechtigkeit verlangen, und wenn man zudem noch gelegentlich prophetische Träume hat, dann kommt einem ständig etwas dazwischen.
    Während ich nun sechs Meter über der Wasseroberfläche dahing, umhüllten mich die hexenhaften Schatten so vollständig, dass ich nicht einmal die nächste Schraube sehen konnte, die über meinem Kopf aus dem Pfosten ragte. Ich hielt inne und überlegte, ob ich trotzdem weiter in die Finsternis hinaufsteigen oder mich auf den schmalen Betonsims unter mir zurückziehen sollte.
    Der ätzende Geruch des Schutzmittels, mit dem man das Holz angestrichen hatte, war beim Klettern immer stärker geworden. Inzwischen roch ich weder das Meer noch die nassen Betonpfeiler, ja, nicht einmal mehr meinen Schweiß, nur noch den Dunst der Chemikalie.
    Als ich gerade zu dem Schluss gekommen war, dass ich aus Vorsicht - die, wie ihr inzwischen wisst, zu meinen beständigsten Charaktereigenschaften gehört - wieder absteigen sollte, flammte unter mir Licht auf.
    Etwa eineinhalb Meter unterhalb meines Standorts waren an vielen der Holzpfosten Flutlichter befestigt, die aufs Meer gerichtet waren. In einer langen Linie verliefen sie von einem Ende des Piers bis zum anderen.
    Ich konnte mich nicht daran erinnern, ob der Pier in anderen Nächten beleuchtet gewesen war. Vielleicht wurden die Lampen ja jeden Abend bei Anbruch der Dämmerung automatisch eingeschaltet.
    Es war allerdings auch möglich, dass die Lichter nur für den Notfall gedacht waren, zum Beispiel, wenn jemand ins Wasser fiel. Ob wohl ein verantwortungsbewusster Bürger
meinen Sprung beobachtet und die Polizei alarmiert hatte?
    Nein. Wahrscheinlich hatten die drei Schläger gewusst, wo sich der Schalter befand. Wenn das der Fall war, dann hatten sie mich doch unter den Pier flüchten sehen und keine Zeit damit vergeudet, vom Strand aus nach einem ankommenden Schwimmer Ausschau zu halten.
    Während ich
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