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Ocean Rose. Erwartung (German Edition)

Ocean Rose. Erwartung (German Edition)

Titel: Ocean Rose. Erwartung (German Edition)
Autoren: Tricia Rayburn
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tun.«
    »Nimm mir das nicht übel, aber die Wellen da unten überstehst du keine zehn Sekunden.«
    »Und wieso glaubst du, dass du mehr Chancen hast?«
    Ich schaute ihn an. »Wegen vierunddreißig Minuten.«
    Er wollte protestieren, aber ich schnitt ihm das Wort ab.
    »Vor zwei Jahren war ich ganze vierunddreißig Minuten unter Wasser. Und mir ist nichts passiert.«
    »Aber –«
    »Ich muss es tun, Caleb«, beharrte ich mit leiser, fester Stimme. »Nach allem, was ich Betty verdanke, muss ich es wenigstens versuchen.«
    Er schüttelte den Kopf, aber widersprach nicht länger.
    »Paige ist im Auto«, sagte ich und umarmte ihn kurz. »Ihr geht es sehr schlecht, und sie muss ins Krankenhaus. Würdest du –«
    »Natürlich.« Er drückte mich noch einmal fest, bevor er mich losließ. »Bitte sei vorsichtig.«
    Ich sah ihm nach, als er ging, dann trat ich an die Felskante. Das Licht war jetzt so blendend, dass ich nicht bis nach unten schauen konnte.
    ›Simon sieht diesen Sommer ganz anders aus, findest du nicht? Älter. Richtig süß.‹
    Als die salzige Gischt mir aus fünfzehn Metern Tiefe ins Gesicht sprühte, wo die Wellen gegen den Fels brandeten, schloss ich die Augen und sah Justine vor mir. Ich bildete mir nicht ein, dass sie leibhaftig bei mir war und mir aufmunternde Worte zuflüsterte. Ich bildete mir gar nichts mehr ein. Stattdessen sah ich sie ganz einfach so, wie ich sie in Erinnerung hatte: wie sie mir, als ich noch klein war, einen Schutzwall aus Kissen und Kuscheltieren ums Bett aufbaute; wie wir auf der Hintertreppe zusammen unter einer Decke hockten und Eierpunsch tranken; wie wir in unserem roten Boot angelten; wie sie von den Chione Cliffs sprang. Ich sah ihr Lächeln und ihre strahlend blauen Augen. Ich sah Justine so, wie ich sie immer gekannt hatte. Meine Justine.
    Mit einem seltsamen Gefühl von Frieden, als hätten die vergangenen zwei Jahre nur auf diesen Moment zugeführt, holte ich tief Atem … und sprang.
    Ich prallte hart auf das Wasser. Wellen überrollten mich, und die Strömung rauschte so dröhnend an mir vorbei, dass es wie das Donnern einer U-Bahn klang. Das Wasser war über und unter mir von Licht durchflutet, also hatte ich keine Ahnung, in welche Richtung ich mich bewegte. Hilflos strampelte ich mit Armen und Beinen und hörte erst auf, als mir klar wurde, dass ich den Atem anhielt und meine Lungen kurz vorm Explodieren waren. Strömungswirbel zerrten mich hierhin und dorthin, nach einer guten Minute unter Wasser war ich höchstens ein paar Meter vorwärtsgekommen … und nun gaben meine Lungenflügel auf.
    Der Moment war gekommen.
    Der Druck in meiner Brust arbeitete sich meinen Hals empor, Luft füllte meine Mundhöhle und drückte gegen meine zugepressten Lippen, bis sie nachgaben und einige Sauerstoffblasen ins Meer entließen. Sofort strömte mir Salzwasser in die Nase, mein ganzes Gesicht brannte, und meine Kehle schnürte sich zu. Reflexartig versuchte ich, den Rest von Atemluft in meinen Lungen zu behalten.
    Ich sah, wie die Meeresoberfläche sich weiter entfernte. Ich dachte an Mom, Big Papa und Justine. An Caleb und Paige. An Betty, Raina und Zara. Ich dachte an Simon und hoffte, dass er weiter glaubte, seine Gefühle für mich seien real, und an ihnen festhielt, was auch immer als Nächstes passieren mochte.
    Dann öffnete ich die Lippen. Meerwasser strömte mir in den Mund, und mein ganzer Körper wurde davon geschüttelt. Ich presste die Hände auf meine brennende Brust und betete darum, einen schnellen Tod zu finden, damit die Dunkelheit – oder das Licht – den Schmerz und alles andere mit sich fortwaschen konnten. Denn es war unerträglich. Es war zu viel und dauerte zu lange. Ich wollte nur noch, dass es aufhörte … dass alles endlich aufhörte.
    Und dann hörte es auf. Meine Lungen gaben nach. Mein Körperinneres wurde so kalt wie das Meer um mich herum. Der Schmerz verschwand.
    Meine Brust hob und senkte sich. Meine Handflächen spürten noch immer einen Herzschlag.
    Ich war am Leben – und genau wie vor zwei Jahren atmete ich unter Wasser.
    Ein Blick auf meine Uhr sagte mir, dass es zehn Minuten vor Mitternacht war.
    Ich tauchte tiefer, fort von der Meeresoberfläche. Die Strömung zerrte noch immer an mir, aber jetzt schnitten meine Arme und Beine mit Leichtigkeit durch sie hindurch. Meine Muskeln fühlten sich gestärkt, mein ganzer Körper wie mit frischer Energie aufgeladen. Das Tauchen fiel mir so leicht wie ein Spaziergang im Park. Die
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