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Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow
Autoren: Iwan Gontscharow
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Herz gepreßt, wo sich offenbar der Schmerz konzentrierte und das Blut zu zirkulieren aufgehört hatte.
    Agafja Matwejewna war schon seit drei Jahren Witwe; während der Zeit hatte ihr Leben seinen ursprünglichen Gang wieder aufgenommen. Der Bruder hatte sich in verschiedene Spekulationen eingelassen, verlor aber dabei sein ganzes Geld, und es gelang ihm durch List und Unterwürfigkeit, seinen früheren Posten als Sekretär in der Kanzlei, »in der man die Bauern eintrug«, wiederzubekommen; jetzt ging er wie früher zu Fuß ins Amt und brachte Zwanzig-, Fünfundzwanzig- und Fünfzigkopekenstücke mit, die er in einen wohlverwahrten Koffer einfüllte. Die Wirtschaft wurde ebenso ordinär und einfach, aber auch ebenso reichlich geführt wie früher, vor Oblomows Zeit. Die Hauptrolle im Hause spielte die Frau des Bruders, Irina Pantelejewna, das heißt, sie nahm sich das Recht, spät aufzustehen, dreimal am Tage Kaffee zu trinken, dreimal die Kleider zu wechseln und sich in der Wirtschaft nur um das eine zu kümmern, daß ihre Röcke möglichst steif gestärkt wurden. Sonst kümmerte sie sich um nichts, und Agafja Matwejewna war wie früher der lebendige Pendel des Hauses; sie befaßte sich mit der Küche, bereitete für das ganze Haus den Tee und den Kaffee, nähte für alle, hielt die Wäsche in Ordnung und beaufsichtigte die Kinder, Akulina und den Hausbesorger. Aber warum tat sie es? Sie war ja Frau Oblomowa, eine Gutsbesitzerin; die hätte ja allein und unabhängig leben können, ohne sich um irgend jemand zu kümmern! Was hatte sie denn dazu gezwungen, die Last einer fremden Wirtschaft, der Sorge um die fremden Kinder und um all die Kleinigkeiten auf sich zu nehmen, der eine Frau sich nur entweder aus Liebe, aus Pflichtgefühl oder aus Sorge um das liebe Brot unterwirft? Wo waren denn Sachar, Anissja und die ihr nach allen Rechten zukommenden Diener? Wo war endlich das lebendige Vermächtnis ihres Mannes, der kleine Andrjuscha? Wo waren die Kinder ihres ersten Mannes?
    Ihre Kinder waren versorgt, das heißt, Wanjuscha hatte den Lehrkursus absolviert und einen Posten bekommen; Maschenjka hatte den Verwalter eines Staatsgebäudes geheiratet, und Andrjuscha war von Stolz und dessen Frau an Kindes statt angenommen worden und wurde dort erzogen. Agafja Matwejewna hatte Andrjuschas Zukunft nie mit dem Schicksal ihrer andern Kinder vermengt und den ihrigen gleichgestellt, wenn sie vielleicht auch unbewußt in ihrem Herzen ihnen allen den gleichen Anteil zusprach. Aber sie teilte die Erziehung, die Lebensweise und die Zukunft Andrjuschas durch einen ganzen Abgrund vom Leben Wanjuschas und Maschenjkas ab.
    »Was sind denn die? Ebensolche Aschenbrödel wie ich selbst«, sagte sie wegwerfend, »sie sind von gemeinem Blut, und dieser«, fügte sie, fast mit Hochachtung an Andrjuscha denkend, hinzu, indem sie ihn, wenn nicht schüchtern, so doch vorsichtig liebkoste, »dieses herrschaftliche Kind! Wie weiß er ist, wie ein Glasapfel! Was für kleine Händchen und Füßchen und was für seidene Haare er hat! Er ist ganz dem Verstorbenen nachgeraten!«
    Darum ging sie ohne Widerspruch und sogar mit einer gewissen Freude auf Stolz' Vorschlag, ihn zu erziehen, ein, da sie glaubte, daß er sich dort, und nicht hier in der »Gemeinheit«, zusammen mit ihren schmutzigen Neffen, den Kindern des Bruders, in der ihm gebührenden Umgebung befinden würde.
    Ein halbes Jahr lang nach Oblomows Tod lebte sie mit Anissja und Sachar in ihrem Hause, in tiefen Gram versunken. Sie hatte zum Grabe ihres Mannes einen Weg ausgetreten und sich die Augen ausgeweint, sie aß fast nichts, nährte sich nur von Tee, schloß manchmal ganze Nächte lang kein Auge und ermattete ganz. Sie beklagte sich nie bei jemand und schien sich in dem Maßstabe, als sie dem Augenblicke der Trennung ferner rückte, immer mehr in sich und ihrem Schmerz zu verschließen und teilte sich niemand, nicht einmal Anissja, mit.
    »Ihre Gnädige beweint noch immer ihren Mann«, sagte der Händler auf dem Markte, bei dem die Hausvorräte gekauft wurden, zu der Köchin. »Sie trauert noch immer um ihren Mann«, sagte der Küster in der Friedhofskirche der Hostienverkäuferin, auf die trostlose Witwe hinweisend, die jede Woche beten und weinen kam. »Sie grämt sich immer noch!« sprach man im Hause des Bruders.
    Eines Tages kam zu ihr unerwartet die ganze Familie des Bruders mit den Kindern und sogar mit ihr Tarantjew, unter dem Vorwande, Trost zuzusprechen. Sie wurde mit banalen
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