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Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow
Autoren: Iwan Gontscharow
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mit einem sinnenden Ausdruck im Gesicht, bei vollem Bewußtsein des Verstandes und des Willens. »Was willst du mit mir anfangen? Ich bin mit jener Welt, in die du mich ziehst, für immer zerfallen; du wirst die beiden zerrissenen Hälften nie vereinigen und zusammenlöten. Ich bin mit meiner wunden Stelle an diese Grube festgewachsen; versuche es, mich loszureißen, und du gibst mir den Tod.«
    »Aber so schau doch um dich! Wo bist du und mit wem?«
    »Ich weiß und fühle das ... Ach, Andrej, ich fühle und verstehe alles ... ich schäme mich schon, daß ich auf der Welt lebe! Ich kann dir aber nicht auf deinen Weg folgen, und wenn ich es sogar wollte ... Voriges Mal wäre es vielleicht noch möglich gewesen. Jetzt ...« er senkte die Augen und schwieg eine Weile, »ist es zu spät ... Geh und halte dich über mich nicht auf. Ich bin deiner Freundschaft wert – das sieht Gott, ich verdiene aber nicht, daß du dich mit mir abgibst.«
    »Nein, Ilja, du sagst etwas, sprichst es aber nicht zu Ende. Ich werde dich trotz allem mitnehmen, gerade darum, weil ich dich im Verdacht habe ... Höre«, sagte er, »zieh etwas an und komm mit mir, verbringe bei mir den Abend. Ich werde dir alles erzählen; du weißt ja nicht und hast nicht gehört, was bei uns vorgeht ...«
    Oblomow blickte ihn fragend an.
    »Du kommst ja mit niemand zusammen, ich habe ganz vergessen! Komm, ich erzähle dir alles ... Weißt du, wer mich hier am Haustor im Wagen erwartet? ... Ich gehe hin!«
    »Oljga!« rief der erschrockene Oblomow plötzlich aus. Er hatte sogar die Farbe gewechselt. »Laß sie um Gottes willen nicht herein! Fahre fort! Leb wohl, leb wohl, um Gottes willen!«
    Er stieß Stolz fast hinaus; dieser rührte sich jedoch nicht.
    »Ich darf ohne dich nicht zu ihr zurückkommen; ich habe es ihr versprochen, hörst du, Ilja? Wenn du heute nicht mitgehst, komme ich morgen wieder; du wirst die Sache nur hinausschieben, du kannst mich aber nicht verjagen ... Wir werden uns morgen oder übermorgen doch wiedersehen!«
    Oblomow schwieg mit gesenktem Kopfe und wagte es nicht, Stolz anzublicken.
    »Wann also? Oljga wird mich fragen.«
    »Ach, Andrej«, sagte er mit zärtlicher, flehender Stimme, indem er ihn umarmte und ihm den Kopf auf die Schulter legte. »Wende dich von mir ganz ab ... vergiß mich ...«
    »Wieso für immer?« fragte Stolz erstaunt, sich aus seiner Umarmung befreiend und ihm ins Gesicht blickend.
    »Ja!« flüsterte Oblomow.
    Stolz trat um einen Schritt vor ihm zurück.
    »Bist du es, Ilja?« warf er ihm vor. »Du stößt mich fort; und das alles ihretwegen, dieser Frau wegen ... Mein Gott!« schrie er wie vor plötzlichem Schmerz auf. »Dieses Kind, das ich soeben gesehen habe ... Ilja, Ilja! Fliehe von hier, komm, komm schnell! Wie tief du gesunken bist! Dieses Weib ... Was ist sie dir ...«
    »Meine Frau!« sagte Oblomow ruhig.
    Stolz erstarrte.
    »Und dieses Kind ist mein Sohn! Er heißt Andrej, zur Erinnerung an dich!« eröffnete Oblomow ihm alles und atmete ruhig auf, nachdem er die Last der Geheimtuerei von sich abgewälzt hatte.
    Jetzt wechselte Stolz die Farbe und betrachtete alles um sich herum mit erstaunten, fast wahnsinnigen Augen. Vor ihm hatte sich plötzlich »ein Abgrund aufgetan« und »eine steinerne Mauer erhoben«. Oblomow schien vor seinen Augen zu verschwinden und in die Tiefe zu versinken, und er fühlte nur den brennenden Schmerz, den man empfindet, wenn man nach einer Trennung erregt zum Freunde eilt, um ihn zu sehen, und erfährt, daß er schon längst nicht mehr da sei, daß er gestorben sei.
    »Verloren!« flüsterte er mechanisch. »Was werde ich Oljga sagen?«
    Oblomow hatte die letzten Worte gehört, wollte etwas sagen, konnte aber nicht. Er streckte beide Arme zu Andrej hin, und sie umfaßten sich schweigend und fest, wie man sich vor dem Kampfe und vor dem Tode umarmt. Diese Umarmung erstickte ihre Worte, ihre Tränen und Gefühle ...
    »Vergiß meinen Andrej nicht, wenn ich nicht mehr da bin ...!« waren Oblomows letzte Worte, die er mit erloschener Stimme sagte.
    Andrej trat schweigend und langsam hinaus, ging langsam und sinnend über den Hof und stieg in den Wagen, während Oblomow sich auf das Sofa setzte, seine Ellbogen auf den Tisch stützte und sich das Gesicht mit den Händen bedeckte.
    Nein, ich werde deinen Andrej nicht vergessen, dachte Stolz traurig, während er über den Hof schritt, du bist verloren, Ilja! Man braucht dir nicht zu sagen, daß dein Oblomowka nicht mehr in der
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