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Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow
Autoren: Iwan Gontscharow
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wird.«
    »Wem haben sie es denn geschickt?«
    »Nach Spanien oder nach Indien, ich weiß es nicht mehr, aber der Gesandte war sehr unzufrieden.«
    »Welcher Gesandte?«
    »Das habe ich schon vergessen!« sagte Alexejew, die Nase zum Plafond erhebend und sich zu erinnern bemüht.
    »Mit wem wird es denn Krieg geben?«
    »Ich glaube mit dem türkischen Pascha.«
    »Nun, was gibt es noch Neues in der Politik?« fragte Ilja Iljitsch nach einem Schweigen.
    »Man schreibt, daß die Erdkugel sich immer mehr abkühlt; sie wird einmal ganz erstarren.«
    »Ist denn das Politik?« fragte Oblomow.
    Alexejew war verblüfft.
    »Dimitrij Iwanitsch hat zuerst etwas über Politik gesagt«, rechtfertigte er sich, »und hat dann weitergelesen, ohne mitzuteilen, wenn die Politik zu Ende ist. Ich weiß, daß das schon Literatur ist.«
    »Was hat er denn über Literatur gelesen?« fragte Oblomow.
    »Er hat gelesen, daß Dimitriew, Karamsin, Batjuschkow und Schukowskij die besten Schriftsteller sind ...«
    »Und Puschkin?«
    »Puschkin war nicht dabei. Es ist auch mir aufgefallen, daß er nicht dabei war! Er ist ja ein Genie!« sagte Alexejew, das »G« wie ein »Sch« aussprechend.
    Darauf folgte Schweigen. Die Hausfrau brachte ihre Arbeit herein und begann die Nadel hin und her zu bewegen, indem sie ab und zu Ilja Iljitsch und Alexejew anblickte und mit wachsamen Ohren lauschte, ob es nicht irgendwo Lärm und Unordnung gab, ob Sachar sich nicht in der Küche mit Anissja zankte, ob Akulina das Geschirr abwusch, ob die Pforte nicht auf dem Hof knarrte, das heißt, ob der Hausbesorger sich nicht in die »Kneipe« entfernt hatte.
    Oblomow versenkte sich leise in Schweigen und Sinnen. Dieses Sinnen war weder Schlaf noch Wachen; er ließ die Gedanken sorglos frei herumirren, ohne sie auf etwas zu konzentrieren, hörte dem gleichmäßigen Schlag seines Herzens zu und blinzelte manchmal, wie jemand, der seinen Blick auf nichts Bestimmtes richtet. Er hatte sich in einen unbestimmten, rätselhaften Zustand, in eine Art von Halluzination, versenkt.
    Der Mensch hat manchmal seltene und kurze Momente des Sinnens, wenn es ihm scheint, daß er dem schon einmal irgendwo erlebten Augenblick zum zweitenmal begegnet. Er weiß nicht, ob das um ihn Vorgehende ihm im Traum erschienen ist, oder ob er schon einmal gelebt und es vergessen hat; er sieht aber, daß ihn jetzt dieselben Personen umgeben, die einst um ihn herum waren, und daß dieselben Worte schon einmal gesprochen wurden. Die Phantasie kann sich nicht dorthin zurückversetzen, das Gedächtnis läßt die Vergangenheit nicht auferstehen und ruft nur tiefes Sinnen hervor. Das war jetzt Oblomows Zustand. Auf ihn senkte sich die schon einmal von ihm erlebte Stille herab, er sieht den bekannten Pendel sich bewegen und hört das Knistern des abgebissenen Fadens; bekannte Worte und bekanntes Flüstern wiederholen sich: »Ich kann nicht mit dem Faden in die Nadel hineinkommen, probiere du's, Mascha, du hast schärfere Augen!« Er blickte träge, mechanisch und wie im Traum auf das Gesicht der Hausfrau, und aus der Tiefe seiner Erinnerungen taucht eine bekannte, von ihm irgendwo gesehene Gestalt auf. Er sucht darauf zu kommen, wann und wo er das gesehen hat ... Und er sieht den großen, dunklen, von einer Paraffinkerze beleuchteten Salon in seinem Vaterhause, und um den Tisch herum sitzt die verstorbene Mutter mit ihren Gästen; sie nähen schweigend; der Vater geht auf und ab. Gegenwart und Vergangenheit haben sich verwebt und verflochten. Ihm träumt, daß er jenes gelobte Land erreicht hat, wo Milch und Honig fließen, wo man, ohne zu arbeiten, ißt und sich in Gold und Silber kleidet ... Er hört von den Träumen und Vorzeichen sprechen und das Klappern der Teller und Messer ertönen, schmiegt sich an die Kinderfrau und lauscht ihrer greisenhaft zitternden Stimme: »Militrissa Kirbitjewna!« sagt sie, ihn auf die Gestalt der Hausfrau hinweisend. Er glaubt, dasselbe Wölkchen wie damals über den blauen Himmel gleiten zu sehen, derselbe Wind bläst ins Fenster hinein und spielt mit seinen Haaren; und ein Oblomower Truthahn geht unter dem Fenster und schreit.
    Jetzt bellt der Hund; es ist gewiß ein Gast gekommen. Vielleicht ist es Andrej, der mit dem Vater aus Werchljowo kommt? Das war ein Feiertag für ihn. Das ist er wahrscheinlich. Die Schritte nähern sich immer mehr, die Tür öffnet sich ... »Andrej!« sagt er. Vor ihm steht wirklich Andrej, aber nicht als Knabe, sondern als reifer Mann. Oblomow
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