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Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow
Autoren: Iwan Gontscharow
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jeder Bissen ist mir im Halse steckengeblieben. Wenn die Gnädige nicht wäre, Gott möge ihr Gesundheit schenken!« fügte Sachar sich bekreuzigend hinzu, »würde ich längst erfroren sein. Sie gab mir im Winter Kleider, so viel Brot, als ich nur wollte, und eine Ecke auf dem Ofen, das alles habe ich ihrer Güte zu verdanken. Man hat ihr aber meinetwegen Vorwürfe gemacht, da bin ich fortgegangen und treibe mich nun herum. Jetzt ist's schon das zweite Jahr, daß ich so herumirre ...«
    »Warum hast du keine Stellung angenommen?« fragte Stolz.
    »Wo kann man denn jetzt eine Stellung finden, Väterchen Andrej Iwanitsch? Ich war in zwei Häusern, konnte es aber niemand recht machen. Jetzt ist alles anders und schlechter als früher. Man will Lakaien haben, welche lesen und schreiben können, und es ist jetzt auch bei vornehmen Herrschaften nicht mehr Sitte, daß das Vorhaus voller Dienstboten steckt. Man hat meistens einen und nur selten zwei Lakaien. Man zieht sich selbst die Stiefel aus und hat sich dafür eine Maschine ausgedacht!« fuhr Sachar traurig fort, »es ist eine Schande und ein Jammer, es gibt gar keine Edelleute mehr!«
    Er seufzte.
    »Ich bin zu einem deutschen Kaufmann ins Haus eingetreten, ich sollte im Vorzimmer sitzen; alles ging gut, er hat mich aber servieren lassen; ist denn das eine Arbeit für mich? Einmal hab' ich irgendein böhmisches Geschirr getragen, die Fußböden waren aber so glatt, zum Teufel mit ihnen! Plötzlich sind mir meine Füße auseinandergerutscht, das ganze Geschirr ist zusammen mit dem Präsentierbrett auf die Erde gestürzt, und man hat mich fortgejagt! Ein anderes Mal hat mein Gesicht einer alten Gräfin gefallen. ›Er sieht so ehrwürdig aus‹, hat sie gesagt, und hat mich als Portier angestellt. Das ist eine schöne, ehrwürdige Stellung; man muß nur mit wichtiger Miene dasitzen, die Füße aufeinanderlegen und wiegen und nicht gleich antworten, wenn jemand kommt, sondern ihn zuerst anbrüllen und erst dann durchlassen oder hinauswerfen; und wenn vornehme Gäste kommen, muß man mit dem Stab so salutieren!« Sachar salutierte mit der Hand. »Das ist ehrenhaft, da kann man nichts dagegen sagen! – Aber die Gnädige war so genau, Gott sei mit ihr! Sie hat einmal in meine Kammer hereingeschaut, hat dort eine Wanze erblickt und hat zu schreien und zu stampfen angefangen, als ob ich die Wanzen ausgedacht hätte! In welcher Wirtschaft gibt es denn keine Wanzen! Ein anderes Mal ist sie an mir vorbeigegangen, und es hat ihr geschienen, daß ich nach Wein rieche ... so eine war sie! Und da hat sie mir gekündigt!«
    »Du riechst aber wirklich nach Wein, und wie!« sagte Stolz.
    »Vor Leid, Väterchen Andrej Iwanitsch, bei Gott, vor Leid!« krächzte Sachar, sein Gesicht in Falten ziehend. »Ich habe auch versucht, Kutscher zu sein. Ich habe den Posten angetreten, mir sind aber meine Füße erfroren; ich habe wenig Kraft, ich bin schon alt! Das Pferd war so wild; einmal hat es sich unter einen Wagen gestürzt und hätte mir beinahe alle Knochen zerbrochen; ein zweites Mal hat es eine alte Frau überfahren, man hat mich auf die Polizei geschleppt ...«
    »Höre jetzt zu vagabundieren auf, komm zu mir, ich werde für dich einen Winkel finden, und dann fahren wir aufs Gut – hörst du?«
    »Ich höre, Väterchen Andrej Iwanitsch, aber ...«
    Er seufzte.
    »Ich habe keine Lust, von hier, vom Grab, fortzufahren! Ich habe heute wieder für unseren Ernährer, Ilja Iljitsch, gebetet«, heulte er auf, »Gott hab ihn selig! Er hat gelebt, um den Menschen Freude zu machen, er hätte hundert Jahre leben sollen ...« sagte Sachar schluchzend und die Stirn runzelnd. »Heute war ich auf seinem Grab; sowie ich in diese Gegend komme, gehe ich dorthin und setze mich nieder; die Tränen rinnen mir nur so herunter. Manchmal denke ich so vor mich hin, alles herum ist so still, und es scheint mir, daß jemand ›Sachar! Sachar!‹ ruft. Da läuft es mir kalt über den Rücken! Man findet keinen zweiten solchen Herrn! Und wie er Sie geliebt hat! Gott möge sich seiner Seele annehmen! ...«
    »Dann komm Andrjuscha anschauen, ich werde dir Essen und Kleider geben lassen, und tu dann, was du willst!« sagte Stolz, ihm Geld reichend.
    »Ich werde kommen; wie sollte ich Andrej Iljitsch nicht anschauen kommen? Er ist wohl schon groß geworden! O Gott! Welche Freude mich der Herr erleben läßt! Ich komme, Väterchen, Gott soll Ihnen Gesundheit und langes Leben schenken ...« brummte Sachar dem
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