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Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow
Autoren: Iwan Gontscharow
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Ratschlägen überschüttet, »sich nicht zugrunde zu richten und der Kinder wegen zu schonen«, alles das, was ihr vor fünfzehn Jahren aus Anlaß des Todes ihres ersten Mannes gesagt wurde und was damals die gewünschte Wirkung erzielte, ihr jetzt aber Langeweile und Ekel einflößte. Es wurde ihr aber viel wohler ums Herz, als man von etwas anderem zu sprechen begann und ihr mitteilte, sie könnten jetzt wieder zusammen leben, es würde ihr viel leichter sein, unter den Ihrigen den Schmerz zu vergessen, das würde auch ihnen angenehm sein, denn niemand verstehe es so wie sie, das Haus in Ordnung zu halten. Sie bat um Bedenkzeit, grämte sich noch zwei Monate lang und willigte endlich ein, mit ihnen zusammen zu leben. Um diesen Zeitpunkt nahm Stolz Andrjuscha zu sich.
    Jetzt geht sie in dunklem Kleide, mit einem schwarzen Tuch um den Hals, wie ein Schatten aus dem Zimmer in die Küche, öffnet und schließt wie früher die Schränke, näht, bügelt Spitzen; sie tut es aber langsam und ohne Energie, sie spricht ungern, mit leiser Stimme und blickt nicht mehr mit sorglos von einem Gegenstand zum andern irrenden Augen, sondern mit einem innerlichen Ausdruck und einem verborgenen tiefen Inhalt darin. Dieser Ausdruck schien in dem Augenblick, als sie bewußt und lange das tote Gesicht ihres Mannes betrachtete, unsichtbar in ihr aufzusteigen und verließ sie seitdem nicht mehr. Sie ging im Hause herum, besorgte alles, was nötig war, eigenhändig, doch ihre Gedanken nahmen an alledem nicht teil. Als sie ihren Mann verloren hatte und über seiner Leiche stand, begriff sie plötzlich ihr Leben und dachte über dessen Sinn nach, und dieser Gedanke legte sich für immer wie ein Schatten auf ihr Gesicht. Als die Tränen dann ihren Schmerz erleichtert hatten, vertiefte sie sich in das Bewußtsein ihres Verlustes; alles außer dem kleinen Andrjuscha war für sie gestorben. Sowie sie ihn erblickte, erwachten in ihr Anzeichen des Lebens, die Gesichtszüge erhellten sich, die Augen erfüllten sich mit freudigem Strahlen und dann mit Tränen der Erinnerung. Ihre ganze Umgebung war ihr fremd; sie beachtete es nicht, wenn der Bruder ihr eines verausgabten oder nicht erhandelten Rubels, eines angebrannten Bratens oder nicht frischen Fisches wegen zürnte, wenn die Schwägerin eines nicht genügend gestärkten Rockes oder des zu schwachen, kalten Tees wegen schmollte oder wenn die dicke Köchin mit ihr grob war, als ob es sich gar um sie handelte, sie hörte nicht einmal das giftige Flüstern: »Gnädige Frau Gutsbesitzerin!« Sie beantwortete alles mit der Würde ihres Schmerzes und mit stolzem Schweigen. An Feiertagen, zu Ostern, an den lustigen Karnevalsabenden, da alles im Hause jubelte, sang, aß und trank, brach sie plötzlich, inmitten der allgemeinen Fröhlichkeit, in heiße Tränen aus und versteckte sich in ihre Ecke. Doch dann sammelte sie sich wieder und blickte sogar manchmal den Bruder und dessen Frau gleichsam bedauernd und stolz an. Sie begriff, daß es mit ihrem Glück vorüber war, daß Gott diesem Leben eine Seele eingehaucht und sie ihm wieder genommen hatte; daß die Sonne in ihr aufgeleuchtet und dann für immer wieder erloschen war ... Ja, für immer; aber dafür hatte ihr Leben einen Sinn erhalten; jetzt wußte sie schon, warum sie gelebt hatte und daß es nicht vergeblich war.
    Sie hatte so viel und so aus ganzer Seele geliebt; sie hatte Oblomow als Geliebten, als Gatten und als ihren Herrn geliebt, doch sie konnte das niemals jemand erzählen. Es würde sie auch niemand von ihrer Umgebung verstanden haben. Wo würde sie die nötigen Ausdrücke hergenommen haben? Im Lexikon ihres Bruders, Tarantjews und der Schwägerin gab es keine solchen Worte, weil es keine solchen Begriffe gab; nur Ilja Iljitsch hätte sie verstanden, doch sie hatte es ihm gegenüber niemals geäußert, da sie es damals selbst noch nicht begriff. Mit den Jahren wurde ihr die Vergangenheit immer verständlicher und klarer, sie verbarg sie immer tiefer und wurde immer schweigsamer und verschlossener. Die wie ein Augenblick vorübergeflogenen sieben Jahre hatten ihr ganzes Leben wie mit Strahlen und stillem Licht erfüllt, und sie hatte keine Wünsche und keine Ziele mehr. Nur wenn Stolz im Winter vom Gut kam, lief sie in sein Haus, blickte Andrjuscha gierig an, liebkoste ihn mit zärtlicher Schüchternheit und wollte dann Andrej Iwanitsch etwas sagen, ihm danken und ihm endlich alles das, was unwandelbar in ihrem Herzen lebte und sich darin
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