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Oblomow

Oblomow

Titel: Oblomow
Autoren: Iwan Gontscharow
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erwachte; vor ihm stand kein Gespenst, sondern der wirkliche und greifbare Stolz.
    Die Hausfrau ergriff schnell Andrjuscha, nahm ihre Arbeit vom Tisch auf und führte die anderen Kinder fort; auch Alexejew verschwand. Stolz und Oblomow blieben allein und blickten einander schweigend und unbeweglich an. Stolz durchdrang ihn förmlich mit den Augen.
    »Bist du es, Andrej?« fragte Oblomow, vor Erregung kaum hörbar, wie man nur seine Geliebte nach langer Trennung fragt.
    »Ich bin es!« sagte Andrej leise. »Du lebst und bist bei guter Gesundheit?«
    Oblomow umarmte ihn und schmiegte sich fest an ihn.
    »Ach!« gab er gedehnt zur Antwort und legte in dieses »Ach« die ganze Macht der lange in seiner Seele angehäuften Freude und Traurigkeit hinein, die er seit ihrer Trennung vielleicht niemals in bezug auf jemand oder etwas geäußert hatte.
    Sie setzten sich und blickten einander wieder forschend an.
    »Bist du wohlauf?« fragte Andrej.
    »Ja, jetzt, Gott sei Dank.«
    »Warst du krank?«
    »Ja, Andrej, ich habe einen Schlaganfall gehabt ...«
    »Ist's möglich? Mein Gott!« sagte Andrej erschrocken und teilnahmsvoll. »Aber doch ohne Folgen?«
    »Ja, ich kann nur den linken Fuß nicht ganz frei bewegen ...« antwortete Oblomow.
    »Ach, Ilja, Ilja! Was ist mit dir? Du läßt dich jetzt ja ganz gehen! Was hast du diese ganze Zeit gemacht? Wir haben uns ja nun über vier Jahre nicht gesehen!«
    Oblomow seufzte.
    »Warum bist du denn nicht nach Oblomowka gekommen? Warum hast du nicht geschrieben?«
    »Was soll ich dir sagen, Andrej? Du kennst mich, frage nicht weiter!« sagte Oblomow traurig.
    »Und du bist immer noch in dieser Wohnung?« fragte Stolz, sich im Zimmer umschauend. »Und bist gar nicht übersiedelt?«
    »Nein, ich war die ganze Zeit hier ... Jetzt werde ich nicht mehr ausziehen!«
    »Wieso, bist du fest entschlossen?«
    »Ja, Andrej ... ich bin fest entschlossen.«
    Stolz blickte ihn forschend an, vertiefte sich in seine Gedanken und begann im Zimmer auf und ab zu gehen.
    »Und was ist mit Oljga Sjergejewna? Geht es ihr gut? Wo befindet sie sich jetzt? Denkt sie an mich?«
    Er sprach nicht zu Ende.
    »Es geht ihr gut, und sie erinnert sich deiner, als ob ihr euch erst gestern getrennt hättet. Ich werde dir gleich sagen, wo sie ist.«
    »Und die Kinder?«
    »Auch die Kinder sind gesund ... Aber höre, Ilja: du scherzest nur, wenn du sagst, daß du hier bleiben willst! Und ich bin dich abzuholen gekommen, um dich zu uns aufs Gut mitzunehmen ...«
    »Nein, nein!« sagte Oblomow, die Stimme senkend und sichtbar beunruhigt nach der Tür blickend. »Nein, fang lieber gar nicht davon an, sprich nicht darüber ...«
    »Warum? Was hast du?« begann Stolz. »Du kennst mich! Ich habe mir längst diese Aufgabe gestellt und werde von dir nicht ablassen. Bis jetzt haben mich verschiedene Angelegenheiten davon abgelenkt, jetzt bin ich aber frei. Du mußt mit uns, in unserer Nähe wohnen. Oljga und ich haben das beschlossen, und es wird auch so sein. Gott sei Dank, daß ich dich so und nicht in einem noch ärgeren Zustand antreffe. Ich habe nicht darauf gehofft ... Komm also mit! ... Ich bin bereit, dich mit Gewalt fortzuführen; man muß anders leben, du weißt ja wie ...«
    Oblomow hörte ihm ungeduldig zu.
    »Schrei bitte nicht, sprich leiser!« bat er ihn. »Dort ...«
    »Was ist dort?«
    »Man wird es hören ... Die Hausfrau wird glauben, daß ich wirklich fortfahren will ...«
    »Was macht es denn? Sie soll das nur glauben!«
    »Nein, das geht nicht! Höre, Andrej!« fügte er plötzlich in einem für ihn ungewohnt entschlossenen Tone hinzu. »Mache keine vergeblichen Versuche, rede mir nicht zu; ich bleibe hier.«
    Stolz blickte seinen Freund erstaunt an. Oblomow erwiderte diesen Blick ruhig und entschlossen.
    »Du bist verloren, Ilja!« sagte er. »Dieses Haus, diese Frau ... dieses ganze Leben ... Das ist unmöglich! Komm, komm!«
    Er packte ihn beim Ärmel und zog ihn zur Tür hin.
    »Warum willst du mich fortführen? Wohin?« fragte Oblomow, sich wehrend.
    »Aus dieser Grube, aus diesem Sumpfe ans Licht, unter freien Himmel, wo es ein gesundes, normales Leben gibt!« bestand Stolz fast befehlend auf seiner Forderung. »Wo bist du? Was ist aus dir geworden? Besinne dich! Hast du dich denn zu einem solchen Leben vorbereitet, um wie ein Maulwurf in einer Höhle zu schlafen? Denke an alles ...«
    »Erinnere mich nicht daran, rühre nicht an der Vergangenheit; du wirst sie nicht mehr zurückbringen!« sagte Oblomow
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