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Oberwasser

Oberwasser

Titel: Oberwasser
Autoren: Jörg Maurer
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einmal durch.
    Sehr geehrter Herr Polizeiobermeister Hölleisen!
    Nach dem BayRKG (Bayrisches Reisekostengesetz) sind der Verköstigung des Beamten äußerst enge Grenzen gesetzt. Verköstigungen außerhalb der drei Tagesmahlzeiten, also Leberkäsebrotzeiten, Mitternachtssuppen, Henkersmahlzeiten etc. sind ausdrücklich nicht im Abrechnungsrahmen enthalten.
    Gegen diesen Bescheid können Sie innerhalb von vier Wochen Einspruch erheben.
    Zu unserer Entlastung zurück:
    Bestätigung Ihrer Gattin wg. div. Essgewohnheiten
Ärztliches Attest Ihrer Hausarztes
Artikel der bayrischen Ernährungskoryphäe Dr. Molz
    Mit freundlichem Gruß – Franz Himpsel, Sachbearbeiter
    Franz Himpsel, der Leiter der Abteilung Versorgung ließ den Brief sinken. Seine Hand zitterte, seine Wangen zitterten, sein ganzer Körper zitterte. Er prustete los, er konnte das Lachen nicht mehr zurückhalten.
    »Was machst du denn da, Himpsel?«, fragte sein Kollege, der ihm gegenübersaß.
    »Das wird ein Spaß! Das hier ist ein Brief an diesen Provinzler dort unten im Süden, in dem Bindestrichkurort. Es geht um ein paar Leberkäsesemmeln, und der beißt sich da fest, der sture Beamtenschädel.«
    »Allmächt! Was soll das bringen?«
    »Den Briefwechsel lese ich bei der Weihnachtsfeier vor, das wird eine Riesengaudi!«
    »Ja, wenn wir die Oberbayern nicht hätten«, fränkelte der Kollege, »dann gäbe es nichts zu lachen.«
     
    Hubertus Jennerwein war aus dem Zelt gegangen, um frische Luft zu schnappen. Ein paar Fakten aus den vergangenen Ermittlungen gingen ihm immer noch im Kopf herum. Erst letzte Woche hatte er das sechs Jahre alte Tagebuch aus der Klamm nochmals gelesen und dann an Dr. Rosenberger weitergeleitet. Dieser Tagebuchschreiber musste eines der ersten Opfer der Drogen- und Geldwäschegang gewesen sein. Wahrscheinlich ein Konkurrent, der ausgeschaltet werden sollte. Er war gefoltert worden, hatte sich dann plötzlich in der Höhle wiedergefunden, er hatte mit Halluzinationen zu kämpfen gehabt, und er hatte nach Ausgängen gesucht. Jennerwein schlenderte an den Zuckerwatteständen vorbei. Ging ihn das überhaupt noch etwas an? Musste diese Sache nicht das BKA aufklären?
    »Hat Sie die letzte Seite auch so schockiert?«, hatte Dr. Rosenberger gefragt. »Was der alles gesehen haben will! Es sind hoffentlich nur Fieberphantasien.«
    »Hoffentlich«, hatte Jennerwein gesagt. Die letzten Zeilen des Mannes in der Höhle gingen ihm nicht aus dem Sinn.
    Heute ist der große Tag. Meine provisorische Tauchglocke ist fertig. Falls jemand dieses Tagebuch findet: Es gibt Leben hier unten. Ich bin dabei, es weiter zu erkunden. Ich werde versuchen, an der Stelle, an der ständig Blasen an die Wasseroberfläche blubbern, zu tauchen.
    Die Aufzeichnungen endeten dort. Bedeutete das nun, dass er bei dem Tauchgang umgekommen war oder dass er einen Ausgang gefunden hatte?
     
    »Hast du die billige Industriewurst im Polizeirevier gesehen?«, fragte Ursel ihren Gatten, als sie sich auf den Weg ins Bierzelt machten.
    »Ja freilich, jedes Mal, wenn wir uns melden, steht so ein Schrott da. Mir hat es direkt gegraust. Ich möchte kein Polizist sein. Schon aus diesem Grund nicht. Die amerikanischen Bullen ernähren sich von Donuts. Und die bayrischen von Leberkäsesemmeln.«
    »Weißt du was? Bevor wir ins Bierzelt gehen, könnten wir noch auf dem Friedhof vorbeischauen.«
    »Das ist eine gute Idee.«
    Sie kannten jeden der Verstorbenen, sie deuteten da und dort hin, sie schwelgten in Erinnerungen und erzählten sich Anekdoten.
    »Hallo, Herr Rechtsanwalt, was tun Sie denn da?«, rief Ursel über ein paar Koniferensträucher hinweg.
    »Ruhig, ruhig!«, entgegnete Goldacker. »Dies ist eine Stätte der Besinnung und Nachdenklichkeit.«
    »Ach so«, sagte Ignaz.
    Goldacker schien nervös. Er hatte sein Jackett ausgezogen, er schwitzte.
    »Ich besuche das Grab meiner Verwandtschaft«, sagte er, und man sah ihm an, dass er log. »Jetzt muss ich aber los.«
    »Ja, wir doch auch. Wir sind auf dem Weg ins Bierzelt. Auf Wiedersehen, Herr Advokat.«
    »Auf Wiedersehen.«
    Der Wind trug einen zwanzig Jahre alten Schlager aus der Ferne her zum Friedhof.
    »Hast du nicht auch das Gefühl, dass der richtig nervös war?«
    »Dem steigen wir nach. Wir schauen mal, wo das angebliche Grab seiner Verwandten ist.«
     
    Maria Schmalfuß war ebenfalls auf den Vorplatz des Bierzelts gekommen, um frische Luft zu schnappen. Als sie Jennerwein allein vor der Wurfbude stehen sah,
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