Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Oberwasser

Oberwasser

Titel: Oberwasser
Autoren: Jörg Maurer
Vom Netzwerk:
sprach von der echten, wahrhaften Wilderei, die den Reichen nimmt und den Armen gibt.
    »Urbayrische Mitbürger!«, rief Schnäuzelchen, und da sah man eine kleine, drahtige Polizistin, die sich vom Dach abseilte, den Wilderer von hinten packte und niederriss.
    »Hamma dich endlich!«, rief sie mit weithin vernehmlicher Stimme.
    Das Volk stöhnte auf. Der Wilderer wehrte sich, er zappelte und versuchte sie abzuschütteln, Nicole wurde gegen das Geländer geschleudert, sie drohte über die Holzbrüstung zu kippen, konnte sich aber im letzten Augenblick noch fangen. Aus der Ferne ertönten Polizeisirenen. Ein Raunen ging durch die Menge: Kommissar Jennerwein kam von der anderen Seite des Balkons gelaufen. Er machte einen Hechtsprung wie ein Fußballtorwart, der weiß, dass Uschi, Gabi und Manuela zuschauen, er bekam den Wilderer gerade noch am Fuß zu fassen. Doch der gab noch nicht auf. Er riss die umgehängte Büchse herunter und richtete sie auf den am Boden liegenden Kommissar.
    »Jetzt g’hörst der Katz!«, schrie der Wilderer, doch da ließ sich ein weiterer Polizist vom Dach herab, er war ein grober, eckiger Klotz, der sich aber erstaunlich geschmeidig auf den Täter zu bewegte. Fast katzenhaft stürzte er sich auf den Wilderer und riss ihm die Flinte hoch. Ein Schuss zerriss die atemlose Stille des Nachmittags. Eine Kugel bohrte sich in eine Dachstrebe des Hartl-Hofes. Wie auf Bestellung begannen jetzt die Kirchenglocken der St.-Martins-Kirche zu läuten, der Wilderer wurde dadurch kurz abgelenkt, der grobe Klotz von Polizist fasste ihn fester, der Schwarzgesichtige war zu keiner weiteren Gegenwehr mehr fähig. Kommissar Jennerwein, den die Menge aus den Zeitungen kannte und der dementsprechend angefeuert wurde, war wieder aufgesprungen und legte dem Wüterich Handschellen an.
    »Bravo! Jetzt haben sie ihn endlich! Ein Hoch auf die bayrische Polizei!«
    Heiner Rothe, der Jugendtrainer der Leichtathletikgemeinschaft Werdenfels, sagte zu seinem Nachbarn:
    »Wenn er wegge
laufen
wäre, der Schwarze, dann hätte er eine Chance gehabt! Das war kein Kampfsportler, das war mehr ein Fünftausendmetermann. Das habe ich gleich gesehen.«
    Jetzt wurde der Wilderer weggeführt, die Freitreppe des Hartl-Hauses herunter, die Menge bildete eine Gasse. Auf dem Dorfplatz war das Polizeiauto mit kreischenden Bremsen zum Stehen gekommen, die beiden Lokalmatadore Ostler und Hölleisen sprangen heraus und nahmen den schwarzen Mann in Empfang.
    »Lebt wohl, ihr Berge!«, rief der Wilderer noch, dann war er im Inneren des Autos verschwunden. Zweihundert Leute klatschten Beifall, das Auto fuhr ab.
    »Den Düwel ook, dat war knapp!«, keuchte Schnäuzelchen und riss sich den falschen Bart herunter.

Kielwasser
    Bierzelte und Heimatwochen sind normalerweise furchtbar vorhersehbar. Die Globalisierung hat auch vor diesen urbayrischsten Vergnügungen nicht halt gemacht, überall auf der Welt gibt es kleine Oktoberfeste, selbst im südafrikanischen Busch, in den Vorstädten von Shanghai und in New York, Ecke 45 th/Broadway. Die bierpapp- und senfsatten Veranstaltungen ähneln sich inzwischen wie eine EU -Norm-Gurke der anderen. Eine große Ausnahme macht natürlich das Bierzelt im Kurort. Die seit Tausenden von Jahren stattfindenden Werdenfelser Heimatwochen haben einen bestimmten, von Generation zu Generation ins Ohr geflüsterten Ablauf. Deshalb ist in dieser ersten Augustwoche innerhalb des Festzeltplatzes alles authentisch, einmalig, typisch, urwüchsig, original und unverfälscht. Der Tanzboden ist aus handgehobeltem Zirbelholz, die Trachten stimmen bis zum letzten Stichmessertascherl, selbst der Schiffschaukelbremser draußen vor dem Zelt plattelt und jodelt während des Bremsens. Kein Budenbesitzer beschriftet die Herzen anders als mit
Gsund samma!
, der Geschmack des Biers ist historisch gesichert, und die Softeismaschine ist – man ahnt es schon – auf ›Alpspitze‹ und ›Waxensteine‹ eingestellt.
     
    Einen guten Monat nach den Ereignissen in der Höllentalklamm war das Bierzelt also wieder aufgebaut, ölsardinenvoll war es drinnen, und die Blasmusik spielte einen bayrischen Marschkracher nach dem anderen. Das Team Jennerweins hatte wie jedes Jahr einen Tisch ganz vorn an der Bühne reserviert. Alle hatten ihre schweren Erkältungen nach dem Höllenritt im kalten Klammwasser schon wieder einigermaßen auskuriert. Außer ein paar Schrammen und Schürfwunden hatte der Einsatz im Wildbach keine größeren Schadspuren
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher