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Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit

Titel: Richard Wagner - Werk, Leben, Zeit
Autoren: Dieter Borchmeyer
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Vorwort
    »Von der Parteien Gunst und Hass verwirrt / Schwankt sein Charakterbild in der Geschichte.« Diese ge fl ügelten Worte Friedrich Schillers über Wallenstein, den Helden seiner bedeutendsten Tragödie, könnten auch auf Richard Wagner gemünzt sein, dessen Charakterbild wie das kaum eines anderen Künstlers bis heute den verwirrendsten Wertungsschwankungen unterworfen ist. Wagners unvergleichliche Wirkung auf die europäische Musik-, Theater-, Literatur- und Kulturgeschichte konterkariert zwar alle Versuche, den ästhetischen Rang seines Werks herabzusetzen; und seine unverminderte weltweite Präsenz im Theater- und Musikleben wie in der wissenschaftlichen und populären Wagner-Publizistik unserer Zeit zeigt, dass dieser Rang – auch wenn die unmittelbare Resonanz seiner Musik bei den Komponisten der nachfolgenden Generationen sowie seine poetisch-literarische Rezeption seit ihrer Kulmination im Œuvre von Richard Strauss und Thomas Mann im wesentlichen ausgeklungen ist – immer wieder aufleuchtet. Doch es sind der menschliche Charakter und die intellektuelle Gesamtpersönlichkeit Wagners, die immer neue Zweifel auf sich ziehen. Während die Biographie der meisten großen Komponisten im heutigen musikalischen Bewusstsein weitgehend im Schatten ihres Werks steht, wirft umgekehrt das Leben und Denken Wagners, in vielen Biographien und kritischen Untersuchungen der jüngsten Zeit aufbereitet, ständig alte und neue Schatten auf sein Werk. Obwohl heute ein philologischer Konsens darüber besteht, dass Leben und Lehre eines Autors nicht auf einen Nenner mit seiner künstlerischen Produktion zu bringen sind, diese aus jenen nicht ableitbar ist, wird bei Wagner immer wieder eine Ausnahme gemacht, ein sacri fi cium intellectus gebracht, sein Leben und ›Meinen‹ in seinem Werk aufgespürt, bis hin zur Verdächtigung seiner fi ktiven Welten als des Resonanzraums seiner Ressentiments und ideologischen Parteilichkeiten.
    Der Provokation seiner Kunstschriften aus der Zeit des Züricher Exils, die anfänglich fast intensiver war als die Wirkung seines musikalischen Werks, sind längst die Zähne gezogen. Übriggeblieben aber sind das Skandalon seiner Ideologie, zumal ihrer antisemitischen Implikationen, und ihre bedenklichen Folgen bis hin zum Nationalsozialismus. Dass der Bann auf Wagners Werk in Israel bis heute nicht aufgehoben ist, dass die Polemik gegen ihn und die Verdächtigung nicht nur seiner Person und seiner Prosaschriften, sondern auch seines dramatischen Werks – als eines den humanen Konsens der aufgeklärten Gesellschaft latent unterwandernden ästhetischen Konstrukts – bis heute nicht aufgehört hat, macht deutlich, dass Wagner ein Ärgernis geblieben ist. An ihm arbeitet sich das schlechte Gewissen der unheilvollen deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts ab, auf ihn projiziert sich die Scham über jene Geschichte als deren Menetekel, ihren bedrohlichen Vorboten und fi nsteren Schatten.
    Für seine eigene Zeit und zumindest für eine Generation der Nachgeborenen ist Wagner mit positiver wie negativer Wertung ein Revolutionär gewesen, der die verbürgten Gesetze der Musik und der Oper, durch die sprachliche Archaik seiner dramatischen Dichtungen aber auch die Gesetze der Dichtkunst außer Kraft setzte – was man ihm wiederholt als »Dilettantismus« angekreidet hat –, die Schranken ›zünftig‹-handwerklicher Beschränkung auf ein bestimmtes künstlerisches Metier durch den Versuch einer Verschmelzung der Künste niederriss und nicht nur die Grenzen der – für das dezentralisierte deutsche Kulturleben spezi fi schen – regionalen Wirksamkeit überschritt, sondern durch seine europäische Ausstrahlung und sein Wirken außerhalb Deutschlands in entscheidenden Scha ff ensphasen seines Lebens auch den nationalen Künstlertypus schlechthin überwand.
    Überdies durchbrach sein skandalumwittertes Leben, das ihn quer durch Deutschland und Europa führte – zumal seine A ff äre und Ehe mit Cosima von Bülow, der Tochter Franz Liszts und der Grä fi n d’Agoult, die ihn zum Mitglied einer europäischen Künstlerfamilie aristokratisch-bohémienhafter Prägung machte, sowie seine Freundschaft mit dem von der Aura des Wahnsinns umgebenen bayerischen König Ludwig II., dem von den Ästheten Europas als »le seul Roi de ce siècle« (Verlaine, À Louis II de Bavière , 1886) verklärten Phantasten auf dem Herrscherthron –, den Erwartungshorizont deutschen Künstlertums. Wagners Tod in Venedig
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