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Oberst Chabert (German Edition)

Oberst Chabert (German Edition)

Titel: Oberst Chabert (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Landschaft hinaus, die Starrheit ihres Gesichtes war nicht zu durchdringen. Solche eiserne Züge haben alle Frauen, die zum Letzten entschlossen sind. Sie trocknete die Augen, als hätte sie geweint, sie spielte wie verträumt mit einem langen rosenfarbigen Bande ihres Gürtels. Und doch, trotz ihrer scheinbaren Sicherheit, konnte sie ein Zittern nicht unterdrücken, als sie ihrem verehrungswürdigen Wohltäter unter die Augen kam, der aufrecht, mit gekreuzten Armen, bleich, mit düsterer Stirn vor ihr stand.
    »Gnädige Frau,« sagte er und blickte sie so scharf an, daß sie erröten mußte, »gnädige Frau, ich verdamme Sie nicht. Ich verachte Sie. Jetzt danke ich dem Zufall, der uns auseinandergebracht hat. Ich spüre keine Rachsucht in mir, ich liebe Sie auch nicht mehr. Sie können nun ruhig leben, auf mein Wort und meine Ehre bauen, dies ist sicherer als alles Gekritzel aller Notare von Paris. Ich will von Ihnen nichts. Ich werde nie den Namen zurückverlangen, den ich berühmt gemacht habe. Ich bin nur ein armer Teufel jetzt, genannt Hyacinth, er will nichts als sein Plätzchen an der Sonne. Adieu...«
    Die Gräfin warf sich ihm zu Füßen, wollte ihn an den Händen zurückhalten, aber er stieß sie mit Schauder zurück und sagte: »Rühren Sie mich nicht an!«
    Wer könnte die Haltung der Gräfin beschreiben, als sie die Schritte ihres Mannes verklingen hörte. Aber dann sah sie, eisklar, wie alle starken Verbrecher oder wie alle unzähmbaren Egoisten der hohen Gesellschaft, sie sah, daß sie von heute an den Frieden ihres Hauses auf dem Wort eines ehrlichen Offiziers aufbauen konnte und auf seiner Verachtung.
    Der Oberst Chabert verschwand. Der Viehzüchter sagte Bankrott an und wurde Droschkenkutscher. Vielleicht betrieb der Oberst zu dieser Zeit ein ähnliches Gewerbe. Vielleicht auch stürzte er, einem fallenden Stein im Abgrund vergleichbar, mit unaufhaltsamer Schnelligkeit in die Tiefe, um endlich unter dem elenden Moder und Lumpenflickwerk zu enden, das auf den Straßen von Paris wuchert.

Sechs Monate nach diesen Ereignissen dachte Derville, der weder vom Grafen noch von der Gräfin etwas erfahren, es sei doch sicherlich ein Vergleich geschlossen worden, und man hätte die Verträge nur aus schlechtem Willen bei einem andern Anwalt ausfertigen lassen. Eines Morgens rechnete er die an den Oberst vorgeschossenen Beträge zusammen, fügte die eigenen Spesen hinzu und bat die Gräfin Ferraud, beim Grafen Chabert den Betrag zu reklamieren, denn er nahm an, sie wüßte, wo sich ihr erster Mann aufhielt. Schon am nächsten Tage richtete der Intendant des Grafen Ferraud, der kürzlich zum Präsidenten des Tribunals erster Instanz in einer großen Stadt Frankreichs war ernannt worden, folgenden unverschämten Brief an Derville:
    »Mein Herr!
    Die Frau Gräfin Ferraud beauftragt mich, Ihnen Mitteilung zu machen, daß Ihr Klient durchaus das in ihn gesetzte Vertrauen mißbraucht hat, und daß selbes Individuum, das unter dem Namen des Obersten Chabert auftrat, zugegeben hat, sich eines falschen Namens und Titels rechtswidrig bedient zu haben.
    Genehmigen Sie usw.
Delbecq.«
    »Man trifft doch, auf meine Ehre, Menschen, die verboten dumm sind. Sie heißen Menschen, aber sie sind es nicht. Man sei also ein Mensch und edelmütig, großzügig, Menschenfreund und Anwalt ... und kann sich begraben lassen mit alledem. Die Geschichte hat mich zweitausend Franken gekostet.«
    Einige Zeit nach Empfang dieses Briefes suchte Derville im Justizpalast einen Advokaten auf, um mit ihm zu sprechen. Dieser Anwalt plädierte beim Kriminalgericht. Der Zufall wollte es, daß Derville bei der sechsten Kammer eintrat, und zwar gerade in dem Augenblick, da der Vorsitzende einen Mann namens Hyacinth wegen Vagabundage zu zwei Monaten Gefängnis verurteilte, mit der sofortigen Verfügung, er sei nach Abbüßung der Strafe ins Depot zu Saint Denis abzuführen, was nach der Rechtsprechung der Polizeipräfekten ständiges Gefängnis bedeutete. Bei dem Namen Hyacinth wurde Derville auf den Angeklagten zwischen den zwei Gendarmen aufmerksam und erkannte in der Person des Mannes auf der Anklagebank den angeblichen Oberst Chabert. Der alte Soldat trug ein ruhiges, unbewegliches, fast verträumtes Aussehen zur Schau. Trotz seiner Lumpen, trotz des Elends, das nur zu deutlich auf seinen Zügen geschrieben stand, verriet er noch die Spuren von Stolz und Adel. Sein Blick hatte den Ausdruck eines Stoikers, den ein Richter nicht hätte verkennen
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