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Oberst Chabert (German Edition)

Oberst Chabert (German Edition)

Titel: Oberst Chabert (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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Klienten nur zwischen zwei und drei Uhr morgens zu sprechen ist, wir wollen sehen, ob er dann kommt, der alte Schurke.« Und Godeschal setzte die begonnene Phrase fort: »erteilt am ... Sind Sie so weit?« fragte er.
    »Ja«, schrien die drei Kopisten. Alles ging seinen Gang weiter, die Bittschrift, das Plaudern und die Verschwörung.
    »Erteilt am ... Nun, Vater Boucard, wann ist die Ordonnanz ergangen? Die Punkte auf die i gesetzt! Donnerwetter! Das füllt die Seiten!«
    »Donnerwetter«, wiederholte einer der Kopisten, bevor noch Boucard, der erste Angestellte, hatte antworten können.
    »Was? Sie haben Donnerwetter hingeschrieben?« fragte Godeschal, indem er einen von den Neulingen anstarrte, mit tödlichem Ernst und lustigem Spott zugleich.
    »Freilich hat er,« sagte Desroches, und beugte sich über die Kopie seines Nachbarn, »er hat hingemalt: Die Punkte auf die i gesetzt und Donnerwetter noch dazu mit f.«
    Alle Angestellten brachen in ein dröhnendes Lachen aus.
    »Aber, lieber Herr Huré, Sie halten Donnerwetter für einen juristischen Ausdruck und dabei geben Sie vor, Sie seien aus Mortagne?« rief Simonnin. »Radieren Sie es aus«, sagte der Bureauvorsteher. »Wenn der Richter, der diese Spesenrechnung prüft, so etwas zu Gesicht bekäme, würde er sagen, daß man sich über ihn lustig macht. Sie würden dem Chef Unannehmlichkeiten bereiten. Also, keine solchen Dummheiten mehr, Herr Huré. Ein Normanne darf eine Bittschrift nicht schlenderhaft schreiben. Auch bei den Schreibern gilt das Kommando: Schultert das Gewehr!«
    »Erteilt am...« fragte Godeschal. »Sagen Sie mir doch wann, Boucard!«
    »Juni 14«, antwortete der Vorstand, ohne seine Arbeit zu unterbrechen.
    Ein Pochen an der Tür der Anwaltsstube zerschnitt die Phrase der weitschweifigen Bittschrift. Fünf Angestellte wie ein einziger Mann, mit blitzenden Augen voller Spott, mit gekräuselten Haaren auf den Köpfen, alle blickten nach der Tür, nachdem sie mit Stentorstimme Herein gerufen hatten. Boucard hatte sein Gesicht in einem Aktenheft eingemuffelt und ließ sich nicht darin stören, die Spesenrechnung auszuarbeiten.
    Das Bureau war ein großer Raum. Natürlich fehlte der mächtige Ofen nicht, so wie er in allen Vorhöllen der Schikane zu finden ist. Die Röhren liefen schräg durch das Zimmer und trafen sich in einem Marmorkamin, auf dessen Platte man ein paar Stücke Brot, dann dreieckige Schnitten Fromage de Brie und frische Schweinskotteletten sah, neben Gläsern, Flaschen und einer Tasse Schokolade für den Vorstand des Bureaus. Der Duft all dieser Speisen mischte sich wunderbar mit dem Brodem des Ofens, der über alles Maß geheizt wurde, dazu kam noch der eigentümliche Odeur der Schreibstuben und der aufgehäuften Masse Makulatur, alles in allem eine so starke Mischung, daß darin der Gestank eines Fuchses spurlos untergegangen wäre. Der Fußboden war mit Kot bedeckt und mit den Resten Schnees, den die Angestellten mitgebracht hatten. Nahe beim Fenster befand sich das Zylinderbureau des ersten Schreibers, diesem benachbart ein kleiner Tisch für den zweiten. Der zweite »erledigte« im Augenblick den obersten Gerichtshof. Es war zwischen acht und neun Uhr morgens. Die Schreibstube hatte als einzigen Schmuck große gelbe Zettel, Ankündigungen von Beschlagnahmen, Verkäufen, Versteigerungen, sowohl zwischen Mündigen als zwischen Unmündigen, endgültige oder provisorische Erkenntnisse, die üblichen Ruhmestitel aller Anwaltsbureaus. Hinter dem Bureauvorstand erhob sich ein ungeheurer Aktenschrank, der die Mauer von unten bis oben bedeckte. Jedes Fach war vollgestopft mit Aktenmassen, aus denen Etiketten und rote Heftfäden heraushingen, wie sie den Prozeßakten ihr eigentümliches Aussehen verleihen. In den unteren Fächern des Schrankes häuften sich blaugeränderte Aktendeckel, die durch den Gebrauch vergilbt waren und auf denen man die Namen der »fetten« Klienten lesen konnte, deren saftige Angelegenheiten gerade jetzt im Dunst schmorten. Die schmierigen Fensterscheiben ließen nur wenig Licht herein. Es gibt ja überhaupt wenig Pariser Bureaus, in denen man im Februar vor zehn Uhr ohne künstliche Beleuchtung schreiben kann, denn sie sind alle das Opfer einer, im übrigen verständlichen, Vernachlässigung. Alle Welt kommt hin, keine Menschenseele verweilt in ihnen, kein persönliches Interesse ist einem so banalen Raum verknüpft, weder der Anwalt, noch die Parteien, noch die Angestellten legen Wert auf die Eleganz eines
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