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Oberst Chabert (German Edition)

Oberst Chabert (German Edition)

Titel: Oberst Chabert (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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die des Obersten, führte ihn auf die Treppe, leuchtete ihm herab und verabschiedete sich von ihm.
    »Boucard,« sagte Derville zu seinem Bureauvorstand, »ich habe da eine Geschichte gehört, die mich vielleicht fünfundzwanzig Goldstücke kosten wird. Komme ich um das Geld, es soll mich nicht gereuen. Denn ich habe dann den genialsten Komödianten unserer Zeit gesehen.«
    Als der Oberst auf der Straße stand, und im Lichte einer Laterne die zwei Louisdors aus der Tasche zog, betrachtete er sie einen Augenblick lang.
    Zum ersten Male seit zehn Jahren sah er Gold. »Jetzt werde ich Zigarren rauchen können«, dachte er.

Ungefähr drei Monate nach dieser nächtlichen Besprechung kam der Notar, der dem Oberst seine Rente regelmäßig ausgezahlt hatte, zu Derville, um eine wichtige Angelegenheit mit ihm zu besprechen und begann damit, die sechshundert Franken zurückzufordern, die er dem alten Militär vorgestreckt hatte.
    »Du leistest dir also das Vergnügen, die alte Armee auszuhalten«, sagte lachend der Notar, ein junger Mensch namens Crottat, der früher Bureauvorstand gewesen war und vor kurzem seine Kanzlei erworben hatte, nachdem sein ehemaliger Chef nach einem riesigen Bankrott flüchtig geworden war.
    »Dank dir, mein Lieber, daß du mich an diese Affäre erinnerst. Meine Menschenliebe wird nicht über sechshundert Franken hinausgehen. Ich fürchte, ich war das Opfer meines Patriotismus.« In diesem Augenblick sah Derville auf dem Tische die Aktenstöße, die sein Vorstand für ihn vorbereitet hatte. Seine Augen blieben bei eigentümlichen Poststempeln haften, langen, quadratischen, dreieckigen, roten und blauen, welche die Postämter Preußens, Österreichs, Bayerns und Frankreichs nacheinander einem Briefe aufgeklebt.
    »Ah,« sagte er lachend, »hier die Lösung des Rätsels. Wir wollen sehen, ob ich der Gefoppte bin.« Er nahm den Brief und öffnete ihn, konnte ihn aber nicht lesen, denn er war deutsch geschrieben.
    »Boucard,« rief er, »lassen Sie, bitte, sofort diesen Brief übersetzen und kommen Sie dann gleich wieder.« Dabei öffnete er halb die Tür seines Kabinetts und reichte den Brief seinem Angestellten hinaus.
    Der Berliner Notar, an den er sich gewandt, schrieb ihm, die angeforderten Schriftstücke würden ihn einige Tage nach diesem Briefe erreichen. Sie befänden sich völlig in Ordnung und alle Legalisierungsformalitäten wären erfüllt, um überall rechtskräftig zu sein. Außerdem teilte er mit, alle Zeugen der derart beglaubigten Ereignisse existierten in Preußisch-Eylau. Die Frau, die dem Grafen Chabert das Leben gerettet, lebe noch in der Nähe von Heilsberg.
    »Es wird ernst«, rief Derville, als ihm Boucard den Inhalt des Briefes mitteilte. »Aber, sag doch, mein Junge,« wandte er sich an den Notar, »ich werde Recherchen brauchen, die in dein Fach schlagen. Hat nicht bei dem alten Gauner Roguin ...«
    »Ach, Gauner ... wir sagen lieber Opfer des Berufs«, unterbrach ihn lachend der junge Notar.
    »Nun, war's nicht dieses Opfer seines Berufes, das seinem Klienten eine Million unterschlagen und viele Familien an den Bettelstab gebracht hat, war es nicht Roguin, der die Liquidation der Masse Chabert geordnet hat? Fast scheint mir, als hätte ich derlei in unsern Akten Ferraud gesehn.«
    »Gewiß,« antwortete Crottat, »ich war derzeit der dritte Schreiber, ich selbst habe diese Liquidation kopiert und genau studiert. Rosa Chapotel, Ehefrau und Witwe nach Hyacint, genannt Chabert, Graf des Kaiserreichs, Inhaber des Großkreuzes der Ehrenlegion. Heirat ohne Ehekontrakt, daher Gütergemeinschaft. Soweit ich mich dessen entsinne, betrugen die Aktiven sechshunderttausend Franken. Vor seiner Heirat hatte der Graf Chabert ein Testament zugunsten der Waisenhäuser gemacht, denen er ein Viertel des Vermögens zusagte, das sich im Augenblick seines Hinscheidens vorfinden würde. Der Staat erbte zu einem andern Viertel. Wir hatten eine Versteigerung, einen Verkauf und die Teilung, so daß die Anwälte gut verdient haben. Bei der Liquidation schenkte das Ungeheuer, das damals Frankreich regierte, der Witwe des Obersten durch ein Dekret den Anteil des Staates.«
    »So würde denn heute das persönliche Vermögen des Obersten nicht mehr als dreihunderttausend Franken betragen?«
    »Eine einfache, logische Folgerung, mein Alter«, sagte Crottat. »Manchmal zeigt auch ihr Advokaten Spuren eines gesunden Menschenverstandes, obwohl ihr, wie man euch nachsagt, nicht schlechter für als gegen eine
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