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Oberst Chabert (German Edition)

Oberst Chabert (German Edition)

Titel: Oberst Chabert (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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ohne Regung. Die Schwere seines Unglücks hatte ihm wohl die Kraft zu glauben genommen. Wenn er seinem militärischen Rang, seinem Reichtum, sich selbst nachjagte, so trieb ihn vielleicht nur ein unerklärliches, geheimes Gefühl, dessen tiefsten Keim wohl jedes Menschenherz kennt. Wir verdanken ihm die Untersuchungen und Experimente der Alchimisten, die leidenschaftlichen Wege des Ehrgeizes, die Entdeckungen der Sternkunde, der Physik, alles dessen, was den Menschen treibt, vielfältiger, reicher und größer zu werden: durch Taten oder Geist. In Chaberts Gedanken war das ego eine Sache zweiter Ordnung geworden, nicht anders als der Gewinn und offenbare Vorteil für den Wettenden weniger schwer wiegt als der Spaß am Gewinnen selbst und die befriedigte Eitelkeit, gewonnen zu haben. Mußten nicht seine Worte wie ein Wunder auf einen Mann wirken, der seit zehn Jahren von seiner Frau, von Recht und Gesetz, ja von der ganzen sozialen Welt ausgeschlossen und zurückgestoßen war? Jetzt sollte er bei einem Anwalt die zehn Goldstücke finden, die man ihm immer wieder seit so langer Zeit verweigert hatte, verweigert von soviel Personen und unter so vielen Vorwänden. Der Oberst glich jener Dame, die zehn Jahre im Fieber gelegen hat und, endlich geheilt, nur ihre Krankheit gewechselt zu haben glaubt. Es gibt ein Glück, so stark, daß man nicht daran glauben kann, der Augenblick der Freude ist da, aber er ist wie ein Blitz, der zerschmettert. Wen wundert es dann, daß die Dankbarkeit dieses Armen so stark war, daß er sie auszudrücken nicht imstande war? Oberflächlichen Menschen hätte er kalt erscheinen müssen, aber Derville ahnte eine Welt von Redlichkeit hinter dieser stumpfen Ruhe. Ein Betrüger wäre beredter gewesen.
    »Wo blieb ich gerade stehen?« fragte der Oberst mit der Naivität eines Kindes oder eines Soldaten, denn das Kind erstirbt nie im wahren Soldaten, und immer gibt es Soldatisches in der Seele des Kindes, vor allem in Frankreich.
    »In Stuttgart. Sie verließen das Gefängnis«, antwortete der Anwalt.
    »Sie kennen meine Frau?« fragte der Oberst.
    »Ja«, sagte Derville und neigte seinen Kopf.
    »Wie sieht sie aus?«
    »Immer zum Entzücken.«
    Der Alte machte eine Geste, er schien einen geheimen Kummer in sich zu begraben, ernst und feierlich in seinem Verzicht, ein Mann, im Blut und Feuer der Schlachtfelder erprobt und bewährt.
    »Mein lieber Herr«, begann der Oberst mit einem Anflug von Heiterkeit, denn er atmete auf, der arme Oberst, er verließ zum zweitenmal das Grab, er hatte eben eine weniger leicht lösbare Schneedecke zum Schmelzen gebracht als es die war, die damals seinen Kopf in Frost gepanzert hatte, er weitete die Brust, als verließe er einen dumpfen Kerker. »Mein Herr,« sagte er, »wäre ich ein niedlicher, hübscher Junge, keiner meiner Schicksalsschläge hätte mich getroffen. Die Frauen glauben nur denen, die alle Worte mit süßen Phrasen spicken. Dann laufen sie, fliegen sie, reißen sich in Stücke, keine Intrige ist ihnen zu verwickelt, keine Tatsache zu unwahrscheinlich, sie sind der reine Teufel, wenn es um den Mann ihres Herzens geht. Wie hätte ich jetzt eine Frau fesseln können? Ich hatte ein Totenkopfgesicht, gekleidet war ich wie ein Sanskülott, ich halte wohl mehr Ähnlichkeit mit einem Eskimo als mit einem Franzosen, trotzdem ich einst in Jugendtagen der niedlichste, hübscheste aller nach Muskat und Parfüm duftenden Männer gewesen war, ich, Chabert, geadelt unter meinem Kaiser! Kurzum, gerade an dem Tage, da man mich wie einen alten Köter auf die Straße warf, begegne ich dem Wachtmeister, von dem ich Ihnen schon erzählt habe. Der Kamerad hieß Boutin. Der arme Kerl und ich bildeten das schönste Paar Schandmähren, das ich jemals gesehen. Ich traf ihn auf der Promenade. Ich erkannte ihn, ihm war's unmöglich, zu erkennen, wer ich war. Wir gehen zusammen in die Schenke. Nun, als ich ihm meinen Namen nenne, geht Boutins Mund vor Lachen auseinander wie ein Mörser, der krepiert. Dieses Lachen hat mir bitter weh getan. Es zeigte mir erbarmungslos, was aus mir geworden war. Man konnte mich also nicht wiedererkennen, selbst das Auge meines treuesten, ergebensten, dankbarsten Freundes konnte es nicht. Ich hatte einst Boutin das Leben gerettet, aber dies war nur eine abgetragene Dankesschuld. Ich will Ihnen die Sache erzählen. Die Szene fand statt in Ravenna, Italien. Der Ort, wo mich Boutin vor einem Dolchstoß rettete, war gerade nicht ein adeliger Salon. Zu
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