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Oberst Chabert (German Edition)

Oberst Chabert (German Edition)

Titel: Oberst Chabert (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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wohnen mußte. Aber die Rue du Montblanc hieß nun Rue de la Chaussee-d'Antin. Ich sah mein Palais nicht mehr. Es war verkauft, demoliert. Häuserspekulanten hatten in meinem Garten mehrere Neubauten errichtet. Ich wußte nicht, daß meine Frau sich mit dem Grafen Ferraud vermählt hatte, niemand konnte mir Auskunft geben. Schließlich begab ich mich zu einem alten Rechtsanwalt, der früher meine Angelegenheiten verwaltet hatte. Der Ehrenmann war tot und seine Geschäfte hatte ein junger Advokat übernommen. Dieser teilte mir zu meinem Erstaunen mit, daß über meine Hinterlassenschaft das Erbteilungsverfahren eingeleitet war, es war liquidiert, meine Frau war verheiratet und hatte zwei Kinder zur Welt gebracht. Als ich sagte, ich sei der Oberst Chabert, lachte er mir so unverschämt ins Gesicht, daß ich ihn ohne ein Wort der Entgegnung verließ. Mein Stuttgarter Gefängnis ließ mich an das Pariser Irrenhaus denken, ich wollte vorsichtig zu Werke gehen. Nun aber wußte ich doch wenigstens, wo meine Frau wohnte und ging zu ihr, Hoffnung im Herzen. Nun wohl,« sagte der Oberst und seine ganze angesammelte Wut entlud sich in einer Gebärde von erschütternder Wucht, »man empfing mich nicht, wenn ich einen falschen Namen gebrauchte; nannte ich aber den meinen, setzte man mich vor die Tür. Ich wollte die Gräfin sehen, wenn sie aus dem Theater, von einem Ball zurückkam; frühmorgens erwartete ich sie stundenlang, ganze Nächte blieb ich wie angewachsen vor der Einfahrt. Mein Blick drang tief ins Innere des Wagens, der blitzschnell vorbeirollte, und so sah ich meine Frau, die mein war und nicht mehr ist. Von diesem Tage an lebte nur der Gedanke an Rache in mir.« Der Alte schrie mit rauher, erstickter Stimme, er richtete sich vor Derville hoch auf. »Sie weiß, daß ich lebe, sie hat, seit meiner Rückkunft, drei Briefe von mir erhalten, alle handschriftlich. Sie liebt mich nicht mehr. Ich aber weiß nicht, liebe ich sie, hasse ich sie? Ich ersehne sie, ich verfluche sie. Ihr Glück verdankt sie mir allein, ihr Vermögen, alles. Sie hat nicht den Finger für mich gerührt. Manchmal... was soll nur werden?« Bei diesen Worten sank der alte Soldat auf den Stuhl, unbeweglich lehnte er da. Derville schwieg. Er sah seinen Klienten an.
    »Die Sache ist nicht einfach,« sagte er endlich mechanisch, »selbst wenn die Aktenstücke, die wir aus Heilsberg erwarten, echt sind, auch dann weiß ich nicht sicher, ob wir sofort durchdringen. Der Prozeß geht Zug um Zug durch drei Instanzen. Man muß mit ganz klarem Kopf die Sache durchdenken, denn sie hat ihresgleichen nicht.«
    »Oh«, sagte der Oberst und hob mutig sein Haupt, »wenn ich unterliege, werde ich zu sterben wissen, aber nicht allein.«
    Jetzt war alles Greisenhafte verschwunden. Die Augen eines Tatmenschen blitzten im Gefühl der Begierde und der Rache zugleich.
    »Man wird vielleicht einen Vergleich anstreben müssen«, sagte der Anwalt.
    »Vergleich?« wiederholte der Oberst Chabert. »Bin ich am Leben, bin ich tot?«
    »Mein Herr,« begann der Advokat, »ich will hoffen, daß Sie sich meinem Rat nicht verschließen werden. Ihre Sache ist meine Sache. Sie werden bald erfahren, welchen Anteil ich an Ihrer Angelegenheit nehme, die in den Annalen der Justiz ohne Präjudiz dasteht. Aber bis dahin will ich Ihnen eine Zeile an meinen Notar mitgeben, der Ihnen gegen Quittung alle zehn Tage fünfzig Franken übermitteln wird. Es wäre nicht recht schicklich, wenn Sie sich hier bei mir in diesem Hause Hilfe sollten suchen gehen. Denn, wenn Sie der Oberst Chabert sind, darf es nicht so aussehen, als ob Sie sich von irgendeines Menschen Gnade erhielten. Ich strecke Ihnen diese Summe auch nur vor. Sie haben ein Vermögen wiederzugewinnen. Sie sind reich.«
    Dieser Ausspruch, so zart gefühlt, machte den Alten weinen. Derville erhob sich schroff, denn es darf sich ein Anwalt nicht rühren lassen. Er ging in sein Kabinett, kam mit einem offenen Brief zurück. Als der arme Mann den Brief in Händen hielt, merkte er, daß zwei Goldstücke in der Hülle waren.
    »Bezeichnen Sie mir, bitte, genau die Akten, geben Sie mir den Namen der Stadt und der Provinz«, sagte der Anwalt.
    Der Oberst diktierte alles und korrigierte die Orthographie der Ortschaft. Dann nahm er seinen Hut in eine Hand, bot die andere, seine schwielige Rechte, dem Anwalt und sagte einfach: »Nach dem Kaiser sind Sie der Mensch, dem ich am meisten verdanke. Sie sind ein Mann von Ehre.« Der Anwalt legte seine Hand in
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