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Oberst Chabert (German Edition)

Oberst Chabert (German Edition)

Titel: Oberst Chabert (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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und dieselbe Partei plädieren könnt ...«
    Der Oberst, dessen Adresse auf der Quittung des Notars vermerkt war, wohnte im Fauborg Saint-Marceau, Rue de Petit-Banquier, bei einem alten Wachtmeister der kaiserlichen Garde, namens Vergniaud, der Viehzüchter geworden war. Derville kam im Wagen hin, aber er war gezwungen, zu Fuß seinen Klienten aufzusuchen, denn sein Kutscher weigerte sich, sich in eine ungepflasterte Straße zu wagen, deren Wagengeleise und Tümpel viel zu tief gingen für die Räder seines Kabrioletts. Der Anwalt sah sich nach allen Seiten um, schließlich fand er in dem Teil der Straße, der nach der Stadt zu liegt, zwischen zerbröckelnden, aus Erdmassen gefügten Mauern zwei aus Bruchsteinen erbaute, baufällige Eckpfeiler und zwischen ihnen eine Durchfahrt, die trotz der Prellböcke von den Einfahrenden stark beschädigt war. Diese Pfeiler trugen einen mit Ziegeln gedeckten Vorbau, und auf der Giebelwand stand in roten Lettern zu lesen: Vergniaud, Viezichter . Rechts von dem Namen sah man ein paar Eier, links eine Kuh, alles in weißer Farbe gemalt. Das Tor war offen und blieb sichtlich während des ganzen Tages so. Im Innern eines geräumigen Hofes erhob sich, dem Eingang gegenüber, ein Haus, wenn man diese Bezeichnung auf ein Bauwerk anwenden darf, wie es in der Umgebung von Paris oft zu sehen ist, ein miserables Ding, mit nichts auf der Welt zu vergleichen, nicht einmal mit den schlechtesten Hütten auf dem Lande, denn es hat von diesen Hütten nur die Erbärmlichkeit, nicht ihre Romantik. Denn draußen in der frischen, reinen Luft haben die Strohhütten noch einen gewissen Zauber, das Grün ringsum, ein Hügel, ein Weg, der sich durch Gelände schlängelt, Rebengewinde, eine lebende Hecke, die moosumgrünten Dächer, Pflug und Egge im Winkel. Aber in Paris ist es nur Elend und Verfall. Das Haus war gewiß nicht alt und doch drohte es in Trümmer zu zerfallen. Kein Baumaterial war zu seinem eigentlichen Zwecke verwandt; alles stammte vom Abbruch; den gibt es ja täglich in Paris. Ein Fensterladen war aus Brettern zusammengefügt, die einst als Schild eines Modewarenladens gedient hatten, und man las noch den alten Namen in aller Deutlichkeit. Kein Fenster glich dem andern, alle waren an unmöglichen Stellen in die Mauern gebrochen. Das Erdgeschoß war scheinbar noch der wohnlichste Teil, aber es war auf einer Seite erhöht, auf der andern schienen die Räume tief unter dem Niveau der Straße zu liegen. Zwischen dem Tore und dem Hause befand sich ein mächtiger Schmutztümpel, Abwaschwasser und Regenwasser mischten sich in seinem trüben Spiegel. Die Grundmauer, auf der sich das verwahrloste Wohnhaus erhob, und die fester gebaut schien als der Rest, war umgeben von vergitterten Käfigen, wo Kaninchen ihre sprossende Zucht hatten. Rechts vom Torwege fand sich, von der Vorratskammer überragt, ein Kuhstall, der mit dem Wohnhause durch eine Milchkammer in Verbindung stand. Linker Hand war ein Hühnerhof, ein Pferdestall und ein Schweinekoben. Alles war mit elenden weißen Holzschindeln gedeckt, die notdürftig übereinander genagelt waren. Zwischen ihnen sah Binsenwerk hervor. Wie überall, wo das Mahl für den Bauch von Paris vorbereitet wird, zeigten sich auch hier Zeichen der Überhastung, die das Fertigwerden zur bestimmten Stunde erzwingt. Die großen Milchkannen aus Weißblech, in denen man die Milch transportiert, die Töpfe, in denen die Sahne aufbewahrt wird, lagen wie Kraut und Rüben vor der Milchkammer, zwischen ihnen trieben sich die Tücher umher, mit denen man den Verschluß dichter macht. Die Fetzen und Lumpen zur Reinigung flatterten in der Luft, an Stricken mit Heftklammern befestigt. Ein friedliches Roß (eine Rasse, die man nur bei Milchhändlern findet), hatte sich einige Schritte von der Milchkarre entfernt und stand vor dem Stalle, dessen Tür geschlossen war. Eine Ziege knabberte das Laub eines kraftlosen, vergilbten Weinstocks ab, welcher die zerfallende Mauer des Hauses bekleidete. Ein Kätzchen hatte sich neben die Sahntöpfe hingesetzt und naschte.
    Als Derville kam, erhoben sich kreischend vor Erschrecken die Hühner in die Lüfte, und der Hofhund begann zu bellen.
    »Ist es möglich? Hier kann der Mann leben, der einmal das Schicksal einer Schlacht entschieden hat?« sagte Derville zu sich, indem er mit einem Blick die ganze Erbärmlichkeit des Ortes umfaßte.
    Die Wohnung war nur unter dem Schutze von drei halbwüchsigen Jungen geblieben. Der eine war auf einen mit
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