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Nur Mut, liebe Ruth

Nur Mut, liebe Ruth

Titel: Nur Mut, liebe Ruth
Autoren: Marie Louise Fischer
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vergessen.
    „Bitte, warten Sie noch einen
Augenblick!“ rief sie dem Fahrer zu. „Ich bin gleich wieder da!“ Sie drehte
sich um und lief auf das Haus zu.
    Der Fahrer öffnete den
Gepäckraum des Autos und wuchtete den Koffer hinein.
    Ruth trat einen Schritt vor,
legte den Kopf zur Seite und lächelte den Mann freundlich an.
    Der sah sie und fragte: „Na,
wie haben wir es denn, kleines Fräulein?“
    „Ich überlege mir nur gerade,
ob Sie mich mitnehmen könnten!“ sagte Ruth — merkwürdig, wie einfach es war,
erwachsene Menschen anzureden, wenn man nur erst den Bogen raus hatte!
    „Nee, das geht nicht!“ sagte
der Fahrer. „Wohin willst du denn?“
    „Zum Flughafen.“
    „Da fahre ich sowieso nicht
hin.“
    „Ach so... nur zum Bahnhof?“
    „Jawohl!“
    Ruth wußte, was sie wissen
wollte. Sie nickte dem Fahrer freundlich zu und rannte davon in Richtung
Bus-Haltestelle. Es war reine Glückssache, ob sie mit dem Bus eher oder
mindestens genauso schnell beim Bahnhof war wie die Perückendame, aber sie
mußte es jedenfalls versuchen. Wenn es doch nur gelingen würde!
    Als sie auf der Plattform stand
und durch die Stadt schaukelte, dachte sie: Ich hätte den anderen eine
Nachricht hinterlassen müssen, vielleicht einen Zettel mit einer Notiz auf der
Platanenbank.
    Aber dazu war es nun zu spät,
ganz abgesehen davon, daß ihr ja gar keine Zeit dazu geblieben war und sie auch
weder Bleistift noch Papier bei sich gehabt hatte — man kann schließlich nicht
an alles denken!
    Sie war die erste, die
absprang, als der Omnibus vor dem Bahnhof hielt. Sie überquerte die Straße und
rannte geradewegs in die große Schalterhalle hinein.
    Von der Perückendame war weit
und breit nichts zu sehen.
    Ruth nahm neben einem
Bahnsteigkartenautomat Aufstellung und behielt den Eingang und die Schalter
unentwegt im Auge.
    Würde die Perückendame wirklich
kommen? Es war ja auch möglich, daß sie einfach am Bahnhof das Taxi gewechselt
hatte und zu einer anderen Pension gefahren war.
    Aber nein, da kam sie. Ihr
kurzgeschnittenes rotblondes Haar wirkte ein bißchen verdrückt, denn sie hatte
keine Zeit gehabt, sich ordentlich zu frisieren, und sie war überhaupt nicht
geschminkt, wahrscheinlich hatte sie nur eben flüchtig ihre Bemalung als
Perückendame abgenommen. Sie ging auf einen der Schalter zu und erstand eine
Fahrkarte.
    Eilig zog Ruth sich eine Bahnsteigkarte.
Sie ließ die Perückendame ein gutes Stück vorausgehen, bis sie ihr folgte. Sie
wollte nur feststellen, auf welchen Bahnsteig sie sich begab, und dann sofort
Kriminalinspektor Maurer anrufen.
    Hinter der Perückendame her
schlängelte sie sich durch die lange Unterführung. Menschen eilten hin und her,
so daß sie stets in Deckung bleiben konnte.
    Die Perückendame schritt zum
Bahnsteig 6 a hinauf. Ruth wollte zum Ausgang und zu den Telefonzellen
zurücklaufen.
    Da ertönte von oben eine Stimme
aus dem Lautsprecher: „Achtung, Achtung! Vorsicht an der Bahnsteigkante! Der
D-Zug nach Hamburg hat Einfahrt!“
    Ruth überlegte keinen
Augenblick. Sie stürzte die Stufen hinauf. Sie wollte und konnte die
Perückendame jetzt nicht mehr aus den Augen lassen. Ja, wenn sie sicher hätte
sein können, daß sie bis Hamburg fuhr, dann hätte die Kriminalpolizei sie dort
in Empfang nehmen können. Aber vielleicht stieg sie irgendwo unterwegs aus, wo
niemand es vermutete, und konnte weiter hilflose alte Leute betrügen und
bestehlen.
    Der Zug brauste in die Halle
und kam zum Stehen. Die Türen wurden aufgerissen, und Fahrgäste kletterten
heraus. Ruth sah das rotblonde Haar der Verbrecherin leuchten, sah sie
einsteigen.
    Jetzt hatte sie keine Wahl
mehr. Sie kletterte ebenfalls in den Zug, wenn auch in einen ganz anderen
Wagen.
    Andere Reisende rissen die
Fenster auf, wechselten Abschiedsgrüße mit ihren Freunden, schwatzten und
lachten. Ruth klopfte das Herz vor Aufregung bis zum Halse.
    Ach, wenn doch wenigstens
Katrin bei ihr gewesen wäre!
    Aber es mußte auch ohne die
Freundin gehen. Sie brauchte sich ja immer nur ganz genau vorzustellen, was
Katrin an ihrer Stelle getan hätte, und es genauso zu machen.
    Mit einem Ruck setzte sich der
Zug in Bewegung. Die Fenster wurden geschlossen. Ruth begann den Gang entlang
zu marschieren. Unterwegs kam ihr ein Kellner mit weißer Jacke entgegen, der
einen Kasten mit Wasser, Limonade und Bier von Abteil zu Abteil trug.
    „Entschuldigen Sie, bitte!“
sagte Ruth. Ihre Stimme war so zaghaft, daß der junge Mann sie beim Rattern
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