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Nur für eine Stunde?

Nur für eine Stunde?

Titel: Nur für eine Stunde?
Autoren: Judith Arnold
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vorzufinden. Es war der erschreckendste Gedanke, den sie sich vorstellen konnte.

12. KAPITEL
    Der März ging zu Ende. Die ersten Tulpen blühten, der Geruch des Meeres erfüllte die sich wärmende Luft, und Blake stellte verwundert fest, dass er noch immer funktionierte. Sogar besser funktionierte als all die vergangenen Monate, denn allmählich genas er von seiner Besessenheit. Er kam wieder zur Vernunft, dem Himmel sei Dank.
    Dabei half ihm seine Arbeit, er nahm sogar an den Wochenenden Material mit nach Hause, um bloß nicht auf die Idee zu kommen, nochmals durch das Viertel zu fahren, wo Martha wohnte. Er war auf einem Anti-Martha-Kreuzzug und willens, alles zu tun, um sie endgültig aus dem Kopf zu bekommen. Noch wagte er es nicht, mit einer anderen Frau eine Beziehung anzufangen, weil er fürchtete, er könnte sich nach Martha sehnen, wenn er mit ihr im Bett wäre. Also würde er noch eine Weile allein bleiben.
    Auch am ersten Samstag im April war er allein im Haus. Mit einem Hamburger und einem Bier hockte er vor dem Fernseher. Es war die Nacht der Zeitumstellung auf Sommerzeit. Die Bonusstunde des Herbstes würde verloren gehen, was ihm überhaupt nicht gefiel. Aber dummerweise hatte er kein Mitspracherecht gehabt, als dies verrückte System ersonnen wurde.
    Als das Fernsehen ihn so sehr zu langweilen begann, dass Gedanken an Martha sich in seinen Kopf einschlichen, stellte er den Kasten aus und ging ins Bett. Sein Wecker zeigte Viertel vor eins, aber er war zu müde, um die Zeit eine Stunde vorzustellen. Morgen, dachte er schläfrig und döste ein.
    Plötzlich vernahm er ein leises Ticken. Wahrscheinlich ein Geräusch in der Heizung oder ein Zweig am Fenster, denn sein elektronischer Wecker tickte nicht. Aber es war ein völlig regelmäßiges Ticken, wie von einer Uhr. Er lag horchend da, und auf einmal spürte er, dass jemand im Zimmer war. Aber das konnte nicht sein, da er nichts gehört hatte. Er setzte sich auf und sah einen Schatten – den Schatten einer Frau … Martha. Sie schien völlig substanzlos zu sein, wie eine Erscheinung, aber er nahm ihren zarten Duft wahr. Er lächelte glücklich. Martha war da, in seinem Schlafzimmer, und sie kam auf sein Bett zu. Es war ihm egal, ob dies ein Traum war. Es war sein schönster Traum seit einer Ewigkeit.
    Er streckte die Hände nach ihr aus, doch sie wich zurück. “Nein”, flüsterte sie, und obwohl er ihre Stimme nicht hörte, wusste er jetzt mit Sicherheit, dass sie es war.
    “Komm zu mir”, sagte er, noch immer lächelnd.
    “Nein, dies ist kein Geschenk.” Ihre Stimme war so substanzlos wie ihr Körper. Es war so dunkel im Zimmer, dass er sie kaum sehen konnte. “Du hast die Stunde verloren, sie ist fort.” Sie schwebte an ihm vorbei zum Nachttisch. Er hätte sie greifen können, aber er konnte seine Arme nicht mehr bewegen. Ihr Schatten verdeckte den Wecker. “So”, flüsterte sie, “jetzt ist sie fort. Die geschenkte Stunde ist verloren.” Sie wich in den Hintergrund zurück, und er sah die leuchtenden Ziffern auf dem Wecker: 3:00. Ärgerlich drehte er den Kopf, wollte sie anfahren, dass sie nicht an seinem Wecker hantieren sollte. Sie war fort.
    Blake fluchte, öffnete dann die Augen und fand sich mitten im Bett sitzend, nackt und schweißgebadet. “Nur ein Traum”, murmelte er, “nur ein schlechter Traum.” Komisch, eigentlich hatte er nie Albträume, so etwas kannte er nicht. Wahrscheinlich hatte er zu lange vor der Flimmerkiste gehockt, das war ungesund. Als er sich wieder hinlegte, fiel sein Blick auf die Uhr. Er zuckte zusammen. Drei!
    Na und? Offenbar hatte er volle zwei Stunden geschlafen und die letzten paar Minuten geträumt. Nur um sicherzugehen, knipste er das Licht an, stand auf und sah auf seine Armbanduhr, die auf der Kommode lag. Sie zeigte zwei Uhr.
    Sein Herz begann zu rasen. Er hielt die Uhr hoch und starrte auf den Sekundenzeiger. Der Zeiger bewegte sich, die Uhr war nicht stehen geblieben.
    Ganz klar, jemand hatte seinen Wecker vorgestellt. Nicht er, das wusste er genau. Das Phantom hatte es getan, diese Frau in seinem Traum, die geflüstert hatte, dass die Stunde verloren war.
    “Du hast deinen Verstand verloren, das ist das Problem”, sagte Blake zu sich selbst. Aber das Flüstern klang wie ein Echo in ihm fort. “Verloren … verloren … verloren …”
    Martha wurde von Lucys Gekläff wach. Mitten in der Nacht sang ihr Hund Arien – das klägliche Ergebnis ihrer Erziehungsversuche. “Sei still!”,
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