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Nur Engel fliegen hoeher

Nur Engel fliegen hoeher

Titel: Nur Engel fliegen hoeher
Autoren: Wim Westfield
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Wachmänner einen großen Blechnapf voll Tee sowie einen Teller mit zwei Scheiben Schwarzbrot, bestrichen mit Margarine und belegt mit Wurst und Käse. Zwischen den Brotscheiben liegen, beinahe liebevoll drapiert, eine aufgeschnittene Gewürzgurke sowie eine halbierte Tomate.
    »Lassen Sie es sich schmecken«, sagt der Wachmann unerwartet warm und höflich. »Danach dürfen Sie sich schlafen legen.«
     

Kapitel 4
    Morgens kurz vor sechs wird Jonas in seiner Zelle geweckt und in denselben Verhörraum zu demselben Stasi-Mann geführt. Er muss am selben Schreibtisch Platz nehmen. Vor ihm liegen ein weißes Blatt Papier und ein Kugelschreiber.
    »Schreiben Sie: Ich, Johannes Maler, dann die komplette Wohnanschrift, wandte mich am 23. Dezember 1988 um 23 Uhr 15 an die Organe des Ministeriums für Staatssicherheit, Kreisdienststelle Greifswald, zum Zwecke eine Aussage ...«
    Jonas lässt den Kuli fallen. »Das stimmt nicht. Sie haben mich festgenommen und in Handschellen hergebracht.«
    »Junger Mann, wollen Sie das Weihnachtsfest bei Ihrer Familie verbringen oder in der Zelle?«
    Jonas nimmt den Stift wieder in die Hand.
    »... zum Zwecke einer Aussage. Punkt. Ich wurde höflich und korrekt behandelt. Punkt. Ich wurde belehrt, dass ich aus sicherheitspolitischen Gründen an niemanden, auch nicht mir nahestehende Verwandte oder Freunde, irgendwelche Informationen über meinen Aufenthalt beim MfS und die geführten Gespräche weiterleiten darf. Ich weiß, dass ein Verstoß gegen die Konspiration strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann. Punkt. Datum, Unterschrift.«
    Der Offizier lässt sich das Blatt reichen. »Abführen!«
    Jonas wird nicht wieder in seine Zelle, sondern gleich in die Asservatenkammer des Gefängnisses gebracht. Dort erhält er seine Jacke und alle persönlichen Dinge wie Geldbörse, Notizbuch und Autoschlüssel zurück. Ein Wachmann geleitet ihn zu einer eisernen Tür und schließt auf. Frische Morgenluft. Winter. Schnee. Noch ist es Nacht, doch die Morgenröte kriecht schon hinter den Häuserdächern hoch.
    »Gähn Se«, sagt der Wachmann in breitem Sächsisch und schließt die Stahltür hinter Jonas ab.
    Auf einem Parkplatz auf der anderen Straßenseite sieht er sein Auto.
    Jonas setzt sich in seinen alten Lada und steckt den Zündschlüssel ins Schloss. Einen winzigen Moment lang denkt er darüber nach, unter der Motorhaube nachzusehen, ob da vielleicht eine Bombe eingebaut wurde. Doch dann startet er den Wagen, fährt durch die verwinkelte Greifswalder Altstadt und passiert vorsätzlich zwei enge Einbahnstraßen in falscher Richtung. Jedes Mal wartet er einen Moment und beobachtet, ob ihm ein Fahrzeug folgt. Als er sich sicher ist, dass ihm niemand auf den Fersen ist, fährt er zum Interhotel Boddenhus und parkt eine Straßenecke entfernt.
    Es ist 6 Uhr 40. Julia, wenn sie denn hier übernachtet, wird noch schlafen. Er wagt nicht, an der Rezeption nach ihr zu fragen. Von außen äugt er in den Frühstücksraum, wo gerade aufgedeckt wird. Kein einziger Gast ist zu sehen. Auch ihr roter Golf ist nirgends zu entdecken. Oder gibt es für die Westautos eine Garage?
    Jonas geht eine halbe Stunde lang im Schnee auf und ab und beobachtet den Hoteleingang und den Frühstücksraum. Ihm wird kalt. Kurz nach sieben betritt er entschlossen das Hotel und steuert auf die Rezeption zu.
    Ein älterer Herr in dunklem Anzug und mit weißen Haaren hält eine Karteikarte in der Hand und telefoniert. Eine junge Frau sortiert Schlüssel in Fächer.
    »Guten Morgen«, sagt Jonas zu der Frau.
    »Sie wünschen bitte?«, antwortet der ältere Herr schroff und hält mit einer Hand die Sprechmuschel des Telefons zu.
    »Ich suche einen Gast aus den USA, sie heißt Julia und ist gestern Abend ...«
    »Wir geben keine Auskünfte über Gäste. Und schon gar nicht aus dem NSW. Verschwinden Sie!«
    »Es ist eine Bekannte, sie erwartet mich.«
    »Ich habe mich doch wohl deutlich genug ausgedrückt. Oder soll ich die Polizei rufen?«
    Die junge Frau legt ihre Schlüssel beiseite und sagt: »Ich bringe Sie zur Tür.« Dabei nickt sie dem Alten zu. Sie geleitet Jonas durch die Drehtür bis auf die Straße. Dort packt sie ihn kurz und fest am Arm und flüstert: »Sie musste schon um sechs aus dem Haus. Du sollst zu einer Ruine kommen. Beeil dich.«
    Jonas springt ins Auto und rast nach Eldena. Auf der alten Kopfsteinpflasterstraße vor dem Park entdeckt er eine frische Autospur im Schnee. Doch den roten Golf sieht er nicht. Er
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