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Nur Engel fliegen hoeher

Nur Engel fliegen hoeher

Titel: Nur Engel fliegen hoeher
Autoren: Wim Westfield
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Quelle hat er nicht. In der DDR gibt es keine unabhängigen Tageszeitungen, eine Zeitung ist hier stets das Sprachrohr einer der fünf Blockparteien. Die Struktur ist von Rügen bis Thüringen gleich: Jede Partei hat eine zentrale Zeitung und eine Bezirkszeitung. Das SED-Zentralorgan »Neues Deutschland« kennt jeder, ebenso das Rostocker SED-Bezirksorgan »Ostsee-Zeitung«. Weniger bekannt ist das CDU-Zentralorgan »Neue Zeit«, die dazugehörende Rostocker Bezirksausgabe heißt »Der Demokrat«. Der Bezirksvorstand der jeweiligen Blockpartei hat seinen Sitz meist in der Nähe der dazugehörigen Zeitungsredaktion. So residiert der CDU-Bezirksvorstand nur eine Etage über der Redaktion »Der Demokrat«. Kurze Wege erleichtern die Arbeit an der kurzen Leine.
    Alle Redakteure und Mitarbeiter - vom Chefredakteur bis zum Kraftfahrer - gehören der jeweiligen Blockpartei an. So arbeiten bei der »Ostsee-Zeitung« ausschließlich SED-Genossen, beim »Demokrat« nur Unionsfreunde und so weiter. Völlig ausgeschlossen, dass ein SED-Genosse in einer CDU-Redaktion redigieren dürfte. Und ein Unionsfreund der CDU als Redakteur einer SED-Zeitung? Das ist so undenkbar wie ein Kruzifix in Honeckers Politbüro. Die Redaktionen der DDR-Tageszeitungen sind in punkto Parteizugehörigkeit klinisch sauber.
    Jonas wollte Journalist und Pressefotograf werden. Aber für eine SED-Zeitung konnte er sich nicht entscheiden wegen des unabwendbaren Zwangs, eines Tages in die Partei eintreten zu müssen. So nahm er das kleinere Übel in Kauf: Bevor er den Arbeitsvertrag als Volontär bei der CDU-Zeitung unterzeichnen durfte, musste er den obenauf liegenden Antrag auf Mitgliedschaft in der CDU unterschreiben.
    Während seine Kollegen in der Schnapsbrennerei mit dem Chefredakteur trinken, versucht Jonas, die Spalten der Lokalausgabe zu füllen. Aber es fällt ihm schwer, sich zu konzentrieren. Die Gedanken an Julia lassen ihn nicht los. Mit niemandem hat er bisher darüber reden können.
    Jonas glaubt, zu dem gleichaltrigen Micha und dem zehn Jahre älteren Manfred ein gutes und offenes Verhältnis zu haben. Doch kann er ihnen vertrauen? Die Angst in der Redaktion, dass ein Kollege für die Stasi spitzeln könnte, ist allgegenwärtig. De-
    finitiv wissen es alle vom Kirchenredakteur: Er hat sich im trunkenen Zustand damit gebrüstet, dass er sogar eine Dienstwaffe besitzt. Und jeder weiß es vom stellvertretenden Chefredakteur Wolf, der in aller Stille den Scharnhorst-Orden, eine der höchsten militärischen Auszeichnungen im Lande, von den Genossen erhalten hat.
    Vielleicht kann er sich an seinen Freund und Kollegen Wolfram Krall wenden ... Wolfram ist Lokalredakteur der »Norddeutschen Neuesten Nachrichten«, der NNN, dem Parteiblatt der NDPD. Er macht auf langweiligen Pressekonferenzen der Rostocker Stadtverwaltung oft politisch abgründige Witze, hat scheinbar wenig Respekt vor Partei und Regierung und trinkt täglich einen Schnaps über den Durst.
    Sie sind seit Jahren befreundet. Mehrmals hat Jonas dem Kollegen aus der Patsche geholfen, wenn der betrunken war - nachts im VEB Ostseedruck, in dem alle Rostocker Zeitungen gedruckt werden. Wenn auf der NNN-Lokalseite ein Loch klaffte, hat Jonas dort irgendwelche Fotos von Rostock platziert, rasch eine Bildunterschrift geschrieben und die Ausgabe gerettet. Am nächsten Tag erhielt er von Wolfram ein Honorar und eine Einladung zum Bier. Auch Wolfram hat Jonas in ähnlicher Situation schon geholfen. Ja, sie kennen sich gut. Warum sollte er ihm nicht die Geschichte mit Julia anvertrauen?
    Am ersten Mittwoch im Januar telefonieren sich Jonas und Wolfram zur Mittagspause zusammen und treffen sich in dem schönen neuen Cafe am Rostocker Uni-Platz. »Jonas, was drückt auf deine Seele?« »Du weißt, dass wir in einem Scheißstaat leben.« Wolfram guckt sich besorgt um. »Kannst du das bitte noch etwas lauter sagen, damit es auch die letzte Sicherheitsnadel in diesem Lokal hört.«
    »Mich kotzt es immer mehr an, hier eingesperrt zu sein.«
    »Das erzählst du mir, solange wir uns kennen.«
    Die junge blonde Kellnerin bringt zwei Kaffee und für Wolfram einen doppelten Korn. Als sie den Kaffee abstellt, beugt sie sich vor. Der großzügige Ausschnitt ihrer Bluse gibt den Blick auf ihre vollen Brüste frei.
    »Mein Gott, Jonas, hast du diese Dinger gesehen?«
    »Alle Kellnerinnen hier sind auffallend schön. Ob die von der Partei ausgesucht worden sind? Für dieses schöne neue Haus am besten
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