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Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah
Autoren: Heidi Hassenmüller
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“Ich trinke auf meine geliebte Gaby. Es soll ihr an nichts fehlen. Und auf ihre beiden Kinder, für die ich immer gut sorgen will.” Gaby holte tief Luft. Nein, es waren nur beinahe dieselben Worte, die Hubert gebrauchte. Er meinte sie ehrlich. Hubert würde ihr und ihren Kindern nie ein Haar krümmen. Jetzt bekommen Manfred und Natalie einen Stiefvater, etwas, das sie vor zehn Jahren für unmöglich gehalten hatte. Aber Hubert interessiert sich nicht für kleine Mädchen. Da kam kein Glitzern in seine Augen, wenn Natalie, ihre zwölfjährige Tochter, ihm einen Gutenachtkuß gab. Wässrige Gieraugen gehörten einer fernen Vergangenheit an. Einer Vergangenheit, von der niemand etwas wußte. Sie hatte keine Vergangenheit. Auch die letzten zwölf Jahre würde sie vergessen. Eine Jugendsünde. Mit achtzehn hatte sie nicht gewußt, wie ein Mann sein mußte. Nur wie er nicht sein durfte. Wie er auf keinen Fall sein durfte. Kein ganzer Kerl durfte er sein. Keiner, der die Hacken zusammenknallte und jedem Rock hinterhersah. Lieb mußte er sein, nur lieb. Lieb war Robbie gewesen, lieb und zart. “Mit dir will ich alt werden”, hatte er ihr versprochen und ihr sanfte Liebeslieder ins Ohr gesungen. “Komm doch, süße Kleine, sei die Meine, sag nicht nein.” Irgendwann einmal hatte sie ja gesagt. Robbie war lieb und zärtlich. Es tat beinahe nicht weh. Und es war auch schnell wieder vorbei. Nichts, worüber sie sich Gedanken machen mußte. Er streichelte auch hinterher noch ihre Wangen, küßte ihre Tränen fort. “Wie schön du bist”, flüsterte er. “Ich will dir nie weh tun.” Er hielt sein Versprechen, bis er anfing zu trinken. Die Umschulung vom Bundeswehrsoldaten zum Elektroingenieur fiel ihm schwerer, als er erwartet hatte. Das Hotelzimmer in der fremden Stadt war kalt und einsam. Wenn er Gaby und die Kinder zum Wochenende besuchte, duftete er nach Old Spice und Pfefferminz. Seine Hände faßten fester zu. Sie zögerte das Zubettgehen hinaus, brauchte immer länger, um sich zu duschen, einzucremen, die Haare zu bürsten. Sie ertappte sich dabei, daß sie versank in ihrem Spiegelbild, eine fremde, junge Frau. Eine glatte, hohe Stirn, kräftige dunkle Augenbrauen, braungrüne Augen. Irgendwann, in einem früheren Leben, hatte einmal jemand gesagt: “Deine Augen sind wie dunkle Bergseen, in denen sich die Unendlichkeit spiegelt.” Sie wußte nicht mehr, wie er hieß. Warum mußte sie jetzt daran denken? Dunkle Bergseen waren tief und unergründlich. Auf ihrem Boden konnte sich alles verbergen. Kalt war es dort, niemand durfte je daran rühren. — Vielleicht hätte sie Robbie nicht verlassen, wenn er nur sie geschlagen hätte. Er meinte es nicht böse; sie konnte ihn so unendlich reizen, wenn sie beziehungsvoll auf die Teetasse sah, die dreiviertel mit Whisky gefüllt war. Und warum konnte sie nicht begreifen, daß er sich in der Kneipe wohler fühlte als zu Hause, wo die eigene Frau den Kopf zur Seite wandte, anstatt ihm einen Willkommenskuß zu geben? Und dann die Kinder. Seine eigene Tochter, die mit zehn Jahren sein Blut zum Kochen brachte. Ein impertinentes kleines Ding, sagte Robbie. Es ist doch nicht normal, daß sie immer und immer wieder “warum?” fragt.
    Als er das erstemal seinen Gürtel aus der Hose zog und schrie: “Dir treib’ ich das aus, mein Fräulein!” und Natalie, bleich vor Schrecken, schützend die Arme vor ihr Gesicht hob, da begann sich alles um Gaby herum zu drehen, ein großer Strudel erfaßte sie und zog sie in die Tiefe. Sie hörte das Aufklatschen des ersten Schlages, warf sich dazwischen und schrie: “Nein, nein, aufhören, aufhören!”

    Als sie später aus ihrer Bewußlosigkeit erwachte, beugte sich eine Nachbarin über sie. “Es ist gut”, sagte sie. “Er ist fort. Haben Sie keine Angst.” “Aber es ist doch Heiligabend”, sagte ihr Sohn Manfred und sah zu der geschlossenen Tür.
    AJs Robbie sie um Verzeihung bat, schüttelte sie den Kopf. “Ich werde nicht mit dir nach Frankfurt gehen. Ich kann dir nicht folgen, solange du trinkst. Ich verlasse dich nicht. Aber geh um Gottes willen in Behandlung, tue etwas.” Er lachte. Wenn er lachte, hatte er zwei kleine Grübchen. “Du kannst doch gar nicht ohne mich sein, Mausi. Und ein richtiger Mann, der kann schon mal über die Stränge schlagen.” Ein richtiger Mann. Schlagen. Nein, sie würde sich nie wieder schlagen lassen. Und nicht ihre Kinder.
    “Schick ihn weg”, hatte sie einmal ihre eigene Mutter gebeten.
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