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Nur Engel fliegen hoeher

Nur Engel fliegen hoeher

Titel: Nur Engel fliegen hoeher
Autoren: Wim Westfield
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Platze?«
    »Jonas, du spinnst.«
    »Wer hat denn die Wohnungen in diesem Haus gekriegt? Kein Arbeiter aus der führenden Klasse. Nur SED-Bonzen.«
    »Das sind die Repräsentanten der führenden Klasse«, sagt Wolfram grinsend und kippt den Schnaps in einem Zug hinunter. »Würde mich auch nicht wundern, wenn die richtigen Arbeiter denen mal die Eier wegtreten.« Wolfram dreht sich erschrocken um wegen seiner spontanen Äußerung. Doch niemand an den Nachbartischen scheint etwas gehört zu haben.
    »Wolfram, ich habe mich verliebt.«
    »Na und?« Wolfram schnippt mit den Fingern. »Bitte zwei Doppelte!«
    Sie trinken den furchtbaren Fusel. Jonas schüttelt sich.
    »Sie ist so schön wie ein Engel.«
    »Hast du sie schon gevögelt?«
    Jonas schmunzelt. »Sie ist Amerikanerin und lebt in West-Berlin.«
    »Auweia. Mach bloß keinen Scheiß!«
    »Ich sagte doch: Ich bin total verknallt.«
    »Wie heißt sie?«
    »Julia.«
    »Und weiter?«
    »Keine Ahnung. Ich habe nur eine Telefonnummer in West-Berlin.«
    »Was hast du vor?«
    »Ich werde am Wochenende nach Berlin fahren, sie anrufen und mich mit ihr treffen.«
    »Hast du nicht Angst, dass das jemand spitzkriegt?«
    »Sie besucht mich in Ost-Berlin, dann gehen wir ins Hotel oder zu einem Freund.«
    »Weiß deine Frau davon? Oder einer deiner Kollegen?«
    »Du bist der Einzige, dem ich's erzähle. Halt bloß den Schnabel.«
    »Jonas, du weißt genau, dass du in ernsten Dingen auf meine Verschwiegenheit bauen kannst.«
    Wolfram zahlt den Kaffee und die Schnäpse und beide gehen wieder in ihre Redaktion, die zwar in derselben Straße, aber in genau entgegengesetzter Richtung liegen.
    NNN-Lokalredakteur Wolfram Krall sagt seiner Redaktionssekretärin, dass er einen wichtigen Artikel schreiben müsse und auf keinen Fall gestört werden möchte. Er schließt die Bürotür hinter sich, zündet sich eine Cabinet an und spannt ein weißes Blatt Papier in seine alte Mercedes-Schreibmaschine. Schnell und routiniert, die Kippe im Mundwinkel, tippt er mit beiden Zeigefingern:
     
    Kontaktbericht
    über ein Gespräch des IMS mit dem Journalisten Jonas 11., Lokalredakteur bei der CDU—Zeitung „Der Demokrat , den Berichterstatter und Empfänger des Berichtes bekannt.
    O.g. Person, über dessen unbedachte politische Äußerungen ich mehrmals ausführlich informierte, vertraute mir heute während der Mittagspause in einem Gespräch im Cafe' am Universitäts—Platz unter vier Augen an, daß sie Kontakt und möglicherweise eine intime Beziehung zu einer in West—Berlin lebenden USA—Bürgerin aufgenommen habe. Ihr Vorname sei Julia. Den Familiennamen weiß Jonas 11. angeblich nicht. Seine Absichten in Bezug auf die weibliche Person aus dem NSW sind offensichtlich noch unklar. Er möchte sich aber am kommenden Wochenende mit dieser Person in der DDR-Hauptstadt treffen. Aufgrund seiner gefestigten feindlich—negativen Grundhaltung zu unserem Staat wird der Jonas M. sehr wahrscheinlich versuchen, den Kontakt zu pflegen und auszubauen.
    Jonas 11. hat angeblich mit niemand anderem darüber gesprochen, was darauf schließen läßt, daß er mir weiterhin vorbehaltlos vertraut. Ich werde alle Möglichkeiten nutzen, um in den nächsten Tagen weitere Informationen von ihm zu erhalten und dann unaufgefordert alle mir bekannt werdenden Einzelheiten berichten.
    Mit sozialistischem Gruß IMS Claus Stephan
     

Kapitel 6
    Am ersten Freitag im Januar nimmt Jonas ab Mittag einen halben Tag frei. Er hätte sich auch einfach verdrücken können, etwa mit einem sogenannten Feierabendtermin. Oder indem er mit dem Chefredakteur einen trinken ginge, gleich gegenüber in der Schnapsbrennerei. Doch Jonas will sich nicht vor der Arbeit drücken, er will nach Berlin. Ob Julia wirklich auf ihn wartet? Oder war er für sie nur ein spannendes Abenteuer? Und warum hat die Stasi ihn eine Nacht lang festgehalten? Ist Julia vielleicht doch eine Spionin, die gar nicht Julia heißt?
    Er hat von ihr nicht mehr als eine Telefonnummer in West-Berlin... West-(!)-Berlin! Wie das klingt! Das ist ein anderer Planet. Unerreichbar.
    Wenige Minuten vor zwölf verlässt Jonas das Redaktionsgebäude in der Kröpeliner Straße und geht zu seinem 17 Jahre alten Lada, der vor dem Interhotel Warnow parkt. Leichter Schneefall hat die Straßen weiß gepudert. Drei Stunden Autofahrt sind es bis Berlin. Vielleicht wird er Julia gar nicht treffen ... Im Westen, so hat er gehört, besuchen sich die Leute nicht spontan, sondern rufen sich
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