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Ich gegen Osborne

Ich gegen Osborne

Titel: Ich gegen Osborne
Autoren: Joey Goebel
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[9]  Vor dem Unterricht
    7 . 47   Wie jeder andere vernünftige Mensch auch hasste ich die Highschool. Doch mit siebzehn hatte ich bereits begriffen, dass man mindestens siebzig Prozent seines Lebens damit zubringt, Sachen zu machen, die man lieber nicht machen würde. Und so fand ich mich mit dem zentralen Irrsinn meines Lebens ab, dass ich fünf von sieben Wochentagen an dem Ort der Welt verbrachte, an dem ich am liebsten überhaupt nie sein wollte. Schon erstaunlich, was die Menschen sich zumuten, dachte ich oft.
    Also bog ich durch das offene Schultor auf den Parkplatz der Osborne Senior Highschool ein, genau wie Tausende andere pickelgesichtige Trottel vor mir und bestimmt ebenso viele Tausende noch lange nach mir. Nichts bereitete mich darauf vor, dass, wenn um 15.15 zum letzten Mal die Schulklingel ertönte, ausgerechnet ich – das chronisch erschöpfte Nervenbündel, das bis zu diesem Tag die exquisite Einsamkeit des unzufriedenen Querdenkers genossen hatte – als beliebtester Schüler von Osborne High vom Parkplatz fahren würde. Ein wahr gewordener Traum? Ach was.
    Ich fuhr um das Blumenrondell herum, in dem der Fahnenmast stand, und wunderte mich einmal mehr, dass hier überhaupt etwas Schönes wachsen konnte. Und während [10]  ein paar grün uniformierte Schüler, Mitglieder des Junior Reserve Officer Training Corps JROTC , die amerikanische Fahne hissten, dachte ich an die acht Stunden, die sich wie ein Berg des Grauens vor mir auftürmten. Ich musste mich mit einer ernsten Angelegenheit befassen – sogar der ernstesten meines bisherigen Lebens. Doch rasch richtete sich meine Aufmerksamkeit auf Chloe Gummere. Ich hoffte, sie in den nächsten zehn Minuten um ein Date bitten zu können. Diese Möglichkeit (abgesehen davon, dass ich mich in der zweiten Schulstunde einer Textkritik meiner Mitschüler stellen musste) war mein Hauptgrund, heute überhaupt zur Schule zu kommen.
    Aufgeregt suchte ich schon mit den Augen ihren taubenblauen und holzgetäfelten Oldsmobile-Kombi, den sie von ihrer Großmutter geerbt hatte. Seit dem ersten Tag meines dritten Jahrs auf der Highschool war ich in Chloe verknallt. Sie war die Person, nach der ich auf dem Parkplatz und bei den Versammlungen immer Ausschau hielt, deren Wege von einem Unterrichtsraum zum anderen mir vertrauter waren als nötig, deren Name meine Ohren irgendwie noch beim chaotischsten Krawall im Klassenzimmer heraushörten. Da dies unser erster Schultag nach dem Spring Break, den Osterferien, und sie in den Ferien verreist gewesen war, hatte ich Chloe seit einer Woche weder gesehen noch gesprochen. Ich sehnte mich nach ihr. Ich sehnte mich so sehr danach, sie zu sehen, dass ich das Gefühl hatte, etwas stimme nicht mit mir, und ich litte an einem speziellen Wahn. Ich fragte mich, ob sich ein anderer Mensch jemals so gefühlt hatte. Es wäre hilfreich gewesen, mit jemandem darüber reden zu können.
    [11]  Nachdem ich das Wachhäuschen samt Security-Mann passiert hatte, unterbrach das nervige Hupen eines kleinen weißen Honda Accord meine Suche nach Chloe. Im Rückspiegel sah ich zwei junge Männer – beide sicherlich ausgezeichnete Schüler – mit erhobenen Stinkefingern. Anscheinend war ich der einzige Schüler auf Osborne, der die vorgeschriebene Höchstgeschwindigkeit einhielt. Das störte unweigerlich die hinter mir Fahrenden, die es aus unerfindlichen Gründen immer eilig hatten, diesen grauenhaften Ort zu erreichen. Ich reagierte auf die Einserschüler, indem ich zwei Stundenkilometer langsamer fuhr, einen für jeden Finger.
    Ich erachtete meine Langsamkeit für notwendig, da meine Mitschüler sich offenbar für unsterblich hielten. Oft genug tauchten abrupt jugendliche Fußgänger vor meinem Wagen auf wie unbeaufsichtigte Kleinkinder, oder sie schlenderten wie lethargische Prostituierte des Wegs, ohne zu bedenken, dass sie sich in einer der belebtesten Gegenden der ganzen Stadt aufhielten, in der sich fast täglich mindestens ein kleinerer Unfall ereignete, wie die zerknautschten Stoßstangen belegten, die ich überall sah.
    Sie alle konnten hupen, so viel sie wollten (was sie gewöhnlich auch taten); ich fuhr langsam – rechtschaffen, rebellisch langsam.
    7 . 49   Um die anhaltenden Störgeräusche der Autohupen zu dämpfen, drehte ich meine Musik lauter, eine Jazz-Kassette, die ich für mich zusammengestellt hatte. Ich suchte weiter nach Chloes Kombi, behielt aber gleichzeitig den Tacho im Auge und das Bein ruhig, um nicht wegen einer
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