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Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Titel: Nur eine Ohrfeige (German Edition)
Autoren: Christos Tsiolkas
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zu wählen. 0-0-0. Er hörte die Wohnungstür aufgehen.
    »Mum«, rief er. »Mum.« Ihre Schritte donnerten durch den engen Flur. Sie stürzte ins Badezimmer. Er streckte die Arme nach ihr aus, in der einen Hand das leere Pillenglas, in der anderen das Handy.
     
    Sie beugte ihn über die Badewanne und steckte ihm den Finger in den Hals. Er würgte, übergab sich, die Galle lief ihm übers Kinn und über die Hand seiner Mutter. Halbverdauter Toast, Pillen und noch mehr Galle spritzten quer über die Wanne, während sein Körper sich krampfhaft zusammenzog. Er war dankbar, dass seine Mutter die Ruhe bewahrte. Jetzt, da er wusste, dass er nicht sterben wollte, machten ihm die Tabletten, die er genommen hatte, Angst. Auf dem Weg ins Epping Hospital verfluchte sie jede rote Ampel und auch die Politiker, die das alte Krankenhaus verkauft hatten, in dem er zur Welt gekommen war und das direkt um dieEcke gewesen wäre. Ab und zu streichelte sie ihm über den Kopf und bat ihn, zu beschreiben, wie er sich fühle, ob er Schmerzen habe, ob sich irgendetwas taub anfühle. Stattdessen verspürte er nur eine erstaunliche Ruhe, ein Bewusstsein für die komplexen Strukturen von Licht und Klang, während seine Mutter sich weiter durch den Verkehr auf der Spring Street kämpfte.
    »Schatz«, sagte sie, »es tut mir so leid, dass ich dich geschlagen habe. Es wird nie wieder vorkommen.«
    »Ist schon okay.« Das war nicht mal gelogen.
    »Ich habe dich noch nie geschlagen, oder?«
    »Nur ein- oder zweimal.«
    »Nein«, wehrte sie sich vehement. »Du hast vielleicht als kleiner Junge mal einen Klaps bekommen.« Er nickte, es schien ihr wichtig zu sein. »Zum Beispiel, als du deine Hand in eine Kerzenflamme halten wolltest. Und einmal hab ich dir den Hintern versohlt, als du ungezogen zu deiner Großmutter warst. Aber geschlagen hab ich dich nie. Auf keinen Fall.«
    Wahrscheinlich stimmte es. Wenn es ihr so wichtig war, musste es stimmen. Angewidert schmeckte er die Galle auf seiner Zunge. Er legte sich die Hand auf den Bauch.
    »Wir sind gleich da«, sagte seine Mutter, die Augen auf die Straße gerichtet. »Es dauert nicht mehr lange.«
    »Es tut mir so leid, Mum.« Auch das war nicht gelogen.
    »Rich, ich liebe dich. Und ich bin stolz auf dich.« Ihre Stimme brach, die gelben Finger umklammerten das Steuer, der pinke Nagellack war abgeblättert. Sie putzte sich die Nase. »Aber was du mit Hector gemacht hast und was du Aisha und Connie angetan hast, das war total daneben.« Sie sah zu ihm rüber. »Weißt du das?«
    »Ja.«
    »Hector ist ein verheirateter Mann, Schatz. Er liebt Aisha. Er wird dich nie lieben.«
    Nein. Er nahm die Hand vom Bauch. Er spürte keinen Schmerz, noch nicht. Es würde alles in Ordnung kommen.
    »Hector weiß nicht einmal, wer ich bin.« Er schloss die Augen,der heiße Wind blies ihm ins Gesicht. Das tat gut. »Ich glaub, ich bin in Nick verliebt.«
    Jetzt war es raus.
    Seine Mutter nahm seine Hand und drückte sie. Ihre Hand war feucht.
    »Oh, mein Kleiner«, flüsterte sie und küsste seine Hand. »Mein süßer, kleiner Junge.« Mit quietschenden Reifen fuhren sie in die Einfahrt der Notaufnahme. »Du wirst dich noch in andere Männer verlieben, und es werden sich viele Männer in dich verlieben.«
    Als sie den Wagen im Parkverbot abstellte, kam eine junge Schwester mit Zigarette in der Hand und wollte sie weiterwinken. Seine Mutter ignorierte sie.
    Das Letzte, was er zu ihr sagte, bevor sie ihm den Magen auspumpten, war: »Mum, ich wünschte, du würdest nicht rauchen.«
     
    Er wachte in einem grell erleuchteten weißen Raum auf und kniff die Augen zusammen. Als er sie wieder öffnete, schien eine Ewigkeit vergangen zu sein. Vorsichtig sah er sich um. Ihm war schwummrig. Seine Mutter saß auf einem Stuhl und las eine Frauenzeitschrift. Jemand griff nach seiner Hand. Mit Mühe drehte er den Kopf zur anderen Seite. Neben dem Bett stand Connie.
    »Hi.« Sein Mund war trocken und schmeckte nach Metall und Chemikalien. Er brachte kaum einen Laut hervor. Als das »Hi« schließlich an seine Ohren drang, klang es völlig idiotisch, wie eines dieser Wörter, die die verrückten Christen sich ausdachten, wenn sie in Zungen redeten. Aber immerhin war es ein Laut. Seine Mutter kam sofort an sein Bett.
    Ganz allmählich ließ die Wirkung der Narkose nach. Er trank einen Schluck Wasser und spürte, wie es ihm aus dem Mund und übers Kinn lief. Als er sich ein zweites Mal im Zimmer umsah, stellte er fest, dass ihm
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