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Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Titel: Nur eine Ohrfeige (German Edition)
Autoren: Christos Tsiolkas
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muss ich Satchmo hören«, flüsterte er ihr zu. »Und zwar den ›West End Blues‹.«
    Er führte seine Übungen langsam aus, atmete dabei gleichmäßig und zählte bis dreißig. Nach jedem Durchgang lauschte er der Musik, der sich langsam steigernden Sinnlichkeit. Bei den Sit-ups konzentrierte er sich auf die Spannung der Bauchmuskeln, und während der Liegestütze auf das Ziehen in seinen Trizepsen und Brustmuskeln. Er wollte seinen Körper spüren, wollte sich lebendig, stark und sicher fühlen.
    Als er fertig war, wischte er sich den Schweiß von den Brauen, hob das Hemd, das er am Abend zuvor einfach hingeworfen hatte, vom Boden auf und schlüpfte in seine Sandalen.
    »Willst du was vom Laden?«
    Aisha lachte. »Du siehst aus wie ein Penner.«
    Sie ging nie ohne Make-up und ordentliche Kleidung aus dem Haus. Nicht dass sie sich auffällig schminkte, das hatte sie nicht nötig – es war einer der Punkte, der ihn von vornherein an ihr angezogen hatte. Für Mädchen, die viel Make-up, Puder und Lippenstift trugen, hatte er nie etwas übriggehabt. Er fand das nuttig, und obwohl er wusste, wie lächerlich seine konservative Einstellung war, konnte er sich doch nicht dazu durchringen, eine stark geschminkte Frau gut zu finden. Egal, wie schön sie in Wirklichkeit war. Aisha brauchte kein Make-up. Ihre dunkle Haut war makellos und geschmeidig, und die großen, tief liegenden, schräg abfallendenAugen leuchteten in ihrem schmalen, perfekt geformten Gesicht.
    Hector sah auf seine Latschen runter und lächelte. »Und, darf der Penner dir etwas mitbringen?«
    Sie schüttelte den Kopf. »Nee. Aber du wolltest noch einkaufen fahren, oder?«
    »Hatte ich wahrscheinlich gesagt.«
    Sie sah auf die Küchenuhr. »Dann solltest du dich beeilen.«
    Er antwortete nicht. Ihr Kommentar ärgerte ihn, er wollte sich an diesem Morgen nicht beeilen. Er wollte ihn ganz ruhig angehen lassen.
     
    Er schnappte sich die Samstagsausgabe der Zeitung und warf einen Zehn-Dollar-Schein auf den Ladentisch. Mr. Ling griff nach der goldenen Packung Peter Jackson Super Mild, aber Hector stoppte ihn.
    »Nein, heute nicht. Heute nehme ich eine Schachtel rote Stuyvesant. Im Softpack. Geben Sie mir am besten gleich zwei.« Hector steckte den Zehner wieder ein und legte einen Zwanziger hin.
    »Sie wechseln Marke?«
    »Das ist mein letzter Tag, Mr. Ling. Ab morgen höre ich auf.«
    »Sehr gut.« Der alte Mann lächelte. »Ich rauche nur drei an Tag. Eine Morgen, eine nach Essen und eine, wenn ich fertig mit Arbeit.«
    »Ich wünschte, das könnte ich auch.« Die letzten fünf Jahre waren wie ein Karussell gewesen, zigmal hatte er aufgehört und wieder angefangen, sich eingeredet, ruhig fünf am Tag rauchen zu können, warum auch nicht, fünf am Tag waren ja nicht so schlimm, aber dann hatte er sich doch nicht beherrschen können und die ganze Schachtel leergemacht. Jedes Mal. Er beneidete den alten Chinesen. Wie gern würde er bloß vier oder fünf am Tag rauchen. Aber das schaffte er nicht. Zigaretten waren so etwas wie eine teuflische Geliebte für ihn. Oft schon hatte er die Packung unter dem Wasserhahn aufweichen lassen und sie dann in den Müll geschmissen, fest entschlossen, nie wieder zu rauchen. Er hatte esmit kaltem Entzug probiert, mit Hypnose, Pflastern, Kaugummis. Ein paar Tage vielleicht, eine Woche, einmal hatte er es sogar einen ganzen Monat lang geschafft, der Versuchung zu widerstehen. Aber dann schnorrte er eine bei der Arbeit, in der Kneipe oder nach dem Essen, und schon lag er wieder in den Armen seiner verschmähten Geliebten. Und deren Rache folgte prompt. Er war ihr ergeben und außerstande, ohne sie durch den Morgen zu kommen. Sie war zu verlockend.
    Eines Sonntagmorgens, als die Kinder bei seinen Eltern waren und Aisha und er wunderbaren, entspannten Sex hatten, schlang er seine Arme um sie und flüsterte: »Ich liebe dich, du bist für mich das Schönste auf Erden, du bist mein Ein und Alles.« Und sie drehte sich mit einem höhnischen Grinsen im Gesicht zu ihm um und sagte: »Nein, bin ich nicht, deine eigentliche Liebe sind die Zigaretten.«
    Es folgte ein schlimmer Streit, der sie beide an den Rand der Erschöpfung brachte – stundenlang schrien sie sich an. Sie hatte ihn tief getroffen, ihn in seinem Stolz verletzt, vor allem, als er beschämt feststellen musste, dass er fieberhaft eine nach der anderen rauchte, um auch nur einigermaßen die Kontrolle zu bewahren. Er hatte ihr vorgehalten, selbstgerecht und außerdem eine
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