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Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Titel: Nur eine Ohrfeige (German Edition)
Autoren: Christos Tsiolkas
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roch, sah er kein einziges Mal in den Spiegel. Erst im Schlafzimmer, als er etwas Wachs im Haar verteilte, riskierte er einen Blick. Er bemerkte die grauen Schläfen, das unrasierte Kinn, die Falten in den Mundwinkeln. Sein Kinn war noch straff, das Haar noch voll. Er sah jünger aus als dreiundvierzig.
    Fröhlich pfeifend küsste er seine Frau und nahm die Einkaufsliste und den Autoschlüssel vom Küchentisch.
    Als er den Motor anließ, dröhnte ein grausam quäkender Popsong durch den Wagen. Er wechselte schnell den Sender, kein Jazz, dafür irgendein angenehmes Gedudel. Aisha hatte die Kinder am Tag zuvor von der Schule abgeholt und sie das Musikprogramm auswählen lassen. Er selbst ließ sich nie vorschreiben, was im Auto gehört wurde, worüber Aisha sich oft lustig machte.
    »Nein«, wehrte er sich. »Das können sie tun, wenn sie einen besseren Geschmack haben.«
    »Um Gottes willen, Hector, das sind Kinder, die haben keinen Geschmack.«
    »Jedenfalls lasse ich sie nicht irgendeinen Top-Forty-Scheiß hören. Ich tue ihnen damit einen Gefallen.«
    Da musste Aisha jedes Mal lachen.
     
    Der Parkplatz am Markt war gerammelt voll, Hector schlängelte sich durch die zugeparkten Reihen, bis er endlich einen Platz fand. Der Commodore – zuverlässig, komfortabel und langweilig – war ein Kompromiss gewesen. Davor waren sie unter anderem einen verrosteten Peugeot ohne Handbremse aus den Sechzigern gefahren, von dem sie sich kurz nach Adams Geburt getrennt hatten,einen robusten Datsun 200B aus den Siebzigern, der irgendwo zwischen Coffs Harbour und Byron Bay den Geist aufgegeben hatte, als Adam sechs gewesen war und Melissa noch ein Baby, und einen monströsen Chrysler Valiant, ein spätes, offenbar unverwüstliches Modell, der die gesamte Familie ein paarmal quer durchs Land befördert hatte, wenn sie Aishas Familie in Perth besucht hatten. Der Wagen wurde von zwei jungen Männern gestohlen, die komplett high waren, damit in Lalor gegen eine Telefonzelle krachten und ihn daraufhin mit Benzin übergossen und anzündeten. Hector hatte fast geweint, als die Polizei anrief. Aisha hatte erklärt, an keinem Auto mehr interessiert zu sein, das älter als zehn Jahre war. Hauptsache, es war sicher und verbrauchte nicht so viel. Hector hatte widerstrebend eingewilligt, träumte aber immer noch von einem Valiant – oder vielleicht einem Pick-up oder einem alten EJ Holden.
    Er machte es sich auf dem Sitz bequem, drehte das Fenster runter, zündete sich eine Zigarette an und zog den Einkaufszettel aus der Tasche. Wie üblich hatte Aisha alles peinlich genau notiert, inklusive präziser Mengenangaben. Fünfundzwanzig Gramm grünen Kardamom (sie kaufte Gewürze nie in größeren Mengen, weil sie dann nicht mehr frisch waren). Neunhundert Gramm Tintenfisch (Hector hätte ein Kilo bestellt, er rundete immer auf). Vier Auberginen (und zwar europäische, nicht asiatische, wie dahinter in Klammern und unterstrichen zu lesen war). Hector lächelte, als er die Liste durchging. Die Ordnungsliebe seiner Frau frustrierte ihn manchmal, andererseits bewunderte er sie auch dafür, wie effektiv und besonnen sie alles anging. Wäre er allein für das Barbecue zuständig gewesen, hätte es am Ende nur Panik und Chaos gegeben. Aisha dagegen war ein sagenhaftes Organisationstalent, und dafür war er dankbar. Ohne sie bekäme er sein Leben nicht geregelt. Aishas Zuverlässigkeit und Intelligenz hatten einen positiven Einfluss auf ihn, das war ganz klar. Mit ihrer Ruhe glich sie sein impulsives Wesen aus. Selbst seine Mutter – die anfangs strikt gegen seine Beziehung mit einer Inderin gewesen war – musste das zugeben.
    »Du kannst von Glück reden, dass du sie hast«, ermahnte sie ihn auf Griechisch. »Weiß der Himmel, was für eine Zigeunerin du dir sonst noch angelacht hättest. Du hast dich kein bisschen unter Kontrolle. Nie hattest du irgendetwas unter Kontrolle.«
     
    Die Worte seiner Mutter fielen ihm ein, nachdem er die Kiste mit dem Obst und dem Gemüse in den Kofferraum geladen hatte und zurück zu den Delikatessen schlenderte. Die junge Frau vor ihm trug enge Jeans, in denen runde, verführerisch kleine Pobacken steckten. Sie hatte lange schwarze Haare, Hector nahm an, dass sie Vietnamesin war. Er ging langsam hinter ihr her. Den Lärm und das Geschrei vom Markt nahm er nicht mehr wahr, es gab nur noch den perfekt schwingenden Arsch vor ihm. Als die Frau in einer Bäckerei verschwand, erwachte Hector aus seinem Tagtraum. Er musste
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