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Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Nur eine Ohrfeige (German Edition)

Titel: Nur eine Ohrfeige (German Edition)
Autoren: Christos Tsiolkas
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sie entgeistertanstarrte. Es kam ihm vor, als schickte sie der Himmel. Connie würde alles richten. Sie beugte sich zu Hugo runter, der aufsprang und sie umarmte. Ängstlich sah sie die anderen an.
    »Was ist los?«
    »Richie glaubt offenbar, Hector habe sich an dir vergangen, Connie?« Aisha hatte Mühe zu sprechen. »Stimmt das?«
    Richie hielt den Atem an. Das war eine Nummer zu groß für ihn. Er würde bis sechzig zählen müssen, oder nein, bis neunzig. Das war seine einzige Chance. Er fing an zu zählen. Eins, zwei …
    Aber die Welt ließ sich nicht so einfach ausblenden. Connies Stimme drang an sein Ohr.
    »Aish, ich schwör dir, ich weiß nicht, wovon er redet. Ich hab keine Ahnung.« So hatte sie noch nie geklungen, so ängstlich, fast außer sich. Er spürte, wie sie zitterte. Sie schrie ihn an: »Was soll das, Richie? Was hast du gesagt? Was zum Teufel hast du denen erzählt?«
    Er konnte nicht sprechen. Er konnte nicht mal atmen. Wo war sein Inhalator? Panisch durchwühlte er seine Taschen.
    Gary antwortete für ihn. »Er hat angedeutet, Hector habe dich missbraucht.« Seine Stimme war nur noch ein Flüstern. Richie pumpte das Spray in seine Lungen, die Augen immer noch fest auf den schmutzigen Teppich gerichtet. Er wagte es nicht, Connie anzusehen.
    »Das stimmt nicht!«, schluchzte sie. »Aish, ich schwöre, das stimmt nicht!«
    Aisha legte den Arm um sie. »Ich weiß, Schatz. Ich glaube dir.«
    Was dann kam, zerriss ihm das Herz. »Er ist besessen von Hector«, stieß Connie hervor. »Er ist krank im Kopf. Das denkt er sich alles nur aus. Er hat das Foto bei euch geklaut.« Damit meinte sie Rosie. Richie konzentrierte sich auf eine Heftklammer, die zwischen den Teppichflusen versteckt lag. Allmählich bekam er wieder Luft. »Seht in eurem Fotoalbum nach. Er hat Fotos von Hector geklaut. Er ist krank, ein total kranker Wichser«, brüllte sie und trat ihm gegen das Bein. Er gab keinen Laut von sich.
    »Warum tust du das? Was für ein beschissenes Spiel spielst du mit uns?«
    Hugo fing an zu weinen.
    »Rosie, bitte bring Hugo nach Hause. Er sollte so etwas nicht mit anhören müssen.« Aisha klang hart und unbarmherzig. Wieder hörte er jemanden schluchzen. Rosie? Connie?
    Es war seine Mutter.
    Rosie wollte etwas sagen, brachte aber kein verständliches Wort heraus.
    Jetzt endlich explodierte Aisha. »Haut ab. Verschwindet aus meinem Leben!«
    Sie gingen. Als sie weg waren, versuchte Richie, die Heftklammer aufzuheben. Es erschien ihm plötzlich als das Wichtigste der Welt. Jemand könnte darauf treten. Womöglich ein Hund.
    »Steh auf.«
    Er schüttelte den Kopf. Er wollte weder aufstehen noch mit seiner Mutter reden.
    »Rick, steh auf!«
    Er gehorchte. Aisha hielt Connie immer noch im Arm. Keine von beiden sah ihn an. Er wusste nicht, wo er hinschauen sollte.
    »Stimmt das? Du hast all diese Lügen verbreitet, weil du … weil du … in Hector verliebt bist?« Seine Mutter klang unglaublich verächtlich.
    Sie müssen mich verabscheuen. Er konnte nur mit den Schultern zucken. »Ja«, murmelte er.
    »Ich schäme mich so für dich.«
    Er sah seine Mutter an, als wäre es das erste Mal. Er dachte, sie würde weinen, aber sie weinte nicht. Wütend hob sie die Hand. Er schloss die Augen.
    Der Schlag brannte wie Feuer und ließ ihn rückwärts gegen den Schreibtisch stolpern. Aber es war nur gerecht. Connie schrie auf.
    Es hatte eigentlich nicht wirklich wehgetan. Vielmehr schmerzten ihn die Worte seiner Mutter. Er würde sie nie vergessen. Sie schämte sich für ihn. Er hatte es nicht anders verdient. In diesemAugenblick lief er los, durch das Wartezimmer, vorbei an den Tieren und ihren Besitzern, durch die Tür hinaus auf die Straße.
     
    Er rannte und rannte. Bis nach Hause. Er lief ins Badezimmer und durchwühlte den Spiegelschrank, Gläser fielen zu Boden. Er fand ein Fläschchen mit Pillen, schüttete sie in die Hand und steckte sich die ganze Ladung in den Mund. Dann hielt er den Mund an den Wasserhahn und spülte sie hinunter. Er setzte sich auf den kalten Badewannenrand und hielt inne. Jetzt konnte er endlich loslassen. Jetzt war er in der Zone. Jetzt musste er nur noch auf den Tod warten.
     
    Es gab drei Dinge, die ihn daran hinderten, sterben zu wollen:
    Das
Plipp-plopp
der Tropfen, die aus dem Wasserhahn ins Waschbecken fielen.
    Der gelbe Sonnenstrahl, der sich rotgolden im Dachfenster brach.
    Der Gedanke, dass seine Mutter ohne ihn allein war.
     
    Richie holte sein Handy heraus und fing an
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