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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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roten Kleid mit einem tiefen Ausschnitt und passender kurzer Jacke. Der indische Schneider in der Delamare Avenue, von dem alle sagten, er sei weitaus der beste in Nairobi, hatte das Complet eigens für die Reise genäht; im »Hove Court« hatten alle Damen Jettel versichert, das originelle Kleid wäre eine beneidenswerte modische Schöpfung, hinter ihrem Rücken waren sie sich allerdings ausnahmslos einig gewesen, es wäre geschmacklos und instinktlos, ausgerechnet nach Deutschland wie eine »aufgetakelte Carmen« aufzubrechen.
    Jettel unterhielt sich gerade mit Frau Kellner, von der sie bei jeder Gelegenheit behauptet hatte, sie wäre eine falsche Schlange, schuld an der Wasserknappheit und ganz bestimmt dafür verantwortlich, dass am Freitagnachmittag niemand außer ihr und ihrem missratenen Sohn zu einem warmen Bad käme. Frau Kellners Wangen waren tief rot.
    »Sie Arme«, bedauerte sie gerade, »ich kann mir gut vorstellen, wie Ihnen zumute ist. Mich würden keine zehn Pferde zurück nach Deutschland kriegen. Und meinen Mann schon gar nicht. Der hat mich noch nicht einmal dazu bewegen können, nach Limuru umzuziehen, obwohl man ihm dort ein einmaliges Angebot gemacht hat. Mit
    Mitbeteiligung. Ich hab gehört, in Deutschland gibt es nichts, was der Mensch zum Leben braucht. Noch nicht einmal Salz und Brot.«
    »Aber Badewasser«, sagte Jettel.
    Reginas Körper wurde heiß und steif. Sie hatte drei Jahre lang befürchtet, die Kriege zwischen ihrer temperamentvollen Mutter und der bösartigen Frau Kellner würden zu einer Katastrophe führen. Frau Kellner malte ihre Lippen und Fingernägel blutrot an; sie sah aus wie eine Hexe und braute sich jeden Abend ein Getränk aus Tee, schwarzem Pfeffer und Senfkörnern - zweifellos ein Hexentrunk. Man erzählte sich, sie hätte ihren ersten Mann in den Tod getrieben und würde den zweiten so knechten, dass er es nicht wagte, sich auf einen Stuhl zu setzen, ohne seine Frau um Erlaubnis zu bitten. Regina schaute ihre Mutter flehentlich an. War die auch eine rasende Amazone wie Frau Kellner geworden, oder war sie ihr ausgerechnet am letzten Tag zu Hause in die Falle gegangen? Hatte Owuor denn seiner Memsahib nie erzählt, dass derjenige, der mit verärgerten Ohren auf eine große Safari ging, für immer seine Kräfte verlor? Und sein Lachen. Und nie mehr zurückkommen würde an den Ort, an dem dies geschehen war.
    »Mama«, raunte Regina, »der Papa will das nicht.«
    »Dein Vater hat mir gar nichts zu wollen. Es reicht schon, wenn er uns nach Deutschland schleppt.«
    In diesem Moment geschah das Wunder der Wunder. Eine vertraute, geliebte Stimme rief: »Ich bin ja schon da.« Ein winziger Hund fiepte. Im Himmel über Nairobi spielten die Engel Harfe, die Wolken wurden rosa, die Sonne eine Kugel aus Gold. Stimme und Bellen hatten erst den blau blühenden Jacarandabaum vor dem Bahn-hofsgebäude erreicht, doch in Reginas Ohren schwoll der Jubel sofort zum Donner an. Sie war wieder ein Kind, das seine Wünsche nur der einen anvertraute, deren Phantasie noch die eigene übertraf. Sie hieß Diana Wilkins und war die Feenkönigin, grazil wie eine Gazelle, mit wehenden blonden Haaren und porzellanweißer Haut, melancholisch bei Tag und in der Nacht sprühend vor Lust. Von der schönen Diana behaupteten die Männer aller Nationen und jeden Alters, sie wäre jede Sünde wert, die Frauen nannten sie eine Gestrauchelte und machten es sich zur Aufgabe, ihre heranwachsenden Söhne vor ihr zu warnen. Diana, in Lettland geboren und nirgends daheim, war mit fünfundzwanzig Jahren im vornehmen Norfolk Hotel zu Nairobi zur Witwe geworden - einer ihrer feurigen Liebhaber hatte ihren Mann, einen englischen Captain, im Bett erschossen.
    Nach Kenia gekommen war Diana mit einem polnischen Klavierspieler, von dem sie behauptete, er wäre bereits im Zug von Mombasa nach Nairobi entführt worden. Zuvor hätte sie die beste Ballettschule in St. Petersburg besucht. In besonders heißen Nächten fiel ihr ein, sie hätte in Moskau das Bolschoiballett gegründet und wäre von Lenin in einer Sondermission nach Kalkutta geschickt worden. Nach dem sechsten Brandy kam die Geschichte vom Kosaken in Finnland, der in einer Mittsommernacht ihr Kind geraubt und am nächsten Morgen ihr Gedächtnis gestohlen hatte.
    Diana hasste die Bolschewisten. Beim Seelenfrieden ihrer verstorbenen Großmutter schwor sie, die »Bolsche-wiki« hätten ihren Onkel, den Zaren, erschlagen und ihr, seiner neunzehnjährigen Nichte, die

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