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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt
Autoren: Stefanie Zweig
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Dresden den fast immer schwach belegten Zehnuhrzug zu nehmen, genau richtig gewesen.
    Walter hatte Heini erst in Breslau kennengelernt. »Du warst«, pflegte er zu sagen, »mein letztes bisschen Glück in diesem Leben. Ein Abgesandter des Himmels. Von Gott persönlich geschickt.«
    Heini war ein alter Freund von Ina Perls. Schon als junger Mann hatte er Walters Schwiegermutter verehrt, die schöne junge, gastfreundliche Witwe mit drei ebenso schönen Töchtern. Selbst als er verheiratet war, änderte sich nichts. Jeden Dienstag rückte Heini in der Breslauer Goethestraße 15 zum Abendessen an. Seitdem er vor einem Jahr überraschend Witwer geworden war, ließ er sich hin und wieder von Ina seine Sachen aufbügeln. Der graue Flanellanzug war allerdings nur ein Vorwand, um die Einsamkeit und Ängste eines Mannes zu kaschieren, der alle Entscheidungen im Leben seiner Frau überlassen hatte.
    Die meisten von Heinis Freunden waren bereits ausgewandert, seine Kollegen, soweit sie jüdisch waren, ausnahmslos. Ursprünglich hatte auch Heini zu emigrieren vorgehabt; er wusste auch, wohin er wollte, und er hatte auch noch genug Geld, um sich in einem fremden Land Arbeit zu suchen, ohne sofort verdienen zu müssen. Nur hatte er nicht mehr die Energie und den Mut, sich um Visa und Bürgschaften zu kümmern. Dafür wusste er stets Bescheid, wer vor der Auswanderung stand und wohin die Leute reisten.
    Heini beriet viele von ihnen. Auch solche, die es sich hätten leisten können, ihm mit Geld für sein gutes Herz und sein lebensrettendes Wissen zu danken; nun, es revanchierten sich sowieso nur die wenigsten. Als er noch in Lohn und Ansehen gestanden hatte, war Heini bei der HAPAG angestellt gewesen. Von seinem Chef wurde er den Kunden als Kapazität empfohlen, bei allen Kollegen war er gut gelitten. Auch bei denen, die ab dem 1. Februar 1933 nicht mehr mit »Guten Morgen«, sondern schon mit »Heil Hitler!« grüßten.
    Der »Leitwolf«, wie Heini zu seinem Stolz schon in jungen Jahren genannt wurde - es gab noch einen Namensvetter in der Abteilung, allerdings einen sehr unbedeutenden -, war Experte für Schiffsreisen gewesen. Er kannte sich aber durch einige privat unternommene Reisen fast so gut an der italienischen Riviera aus wie im Riesengebirge oder in Brieg, woher er stammte und wo er regelmäßig seine alte Mutter besuchte. Mit der Lust der alten Tage und der Wehmut von Menschen, die auf einen Schlag ohne Perspektiven und deshalb auch ohne Ansehen sind, hatte die von der HAPAG entlassene Kapazität Heinrich Siegfried Wolf die unfreiwillige Reise des ehemaligen Leobschützer Rechtsanwalts und Notars Dr. Walter Redlich zusammengestellt. Der Berater tat dies mit jener Liebe zum Detail, der er seine Karriere verdankte. Per Bahn von Breslau nach Genua und von dort mit dem Schiff nach Mombasa. Selbstredend ohne Rückfahrschein und samt den beiden Übernachtungen, die nötig sein würden, ehe die »Ussukuma« ablegte. Sogar sechs billige Lokale in Genua, die er in seinem Berufsleben wahrlich nie empfohlen hätte, deren Namen er jedoch einmal für seinen jungen Neffen eruiert hatte, hatte er für Walter aufgeschrieben - mit der Ermahnung, den Zettel bloß nicht zu den of fizi ellen Reisepapieren zu legen. »Vor dem Paradies«, wusste Heini aus den Berichten derer, die dem Vaterland entkommen waren, »stehen der deutsche Zoll und seine Helfershelfer. Wer weiß, was die vermuten, wenn die sehen, dass du in Genua einen Teller Nudeln essen willst.«
    »Ohne dich«, sagte Walter, »hätte ich zu Hause bleiben müssen. Gegen mich war Hänschenklein ein Weltreisender. In den letzten fünf Jahren bin ich immer nur von Leobschütz nach Breslau gefahren. Um neun Uhr hin und zurück am nächsten Tag um fünf Uhr drei. Damit ich bei Ina noch Bratkartoffeln essen konnte. Ich kann noch nicht einmal ein Kursbuch richtig lesen. Vielleicht bringst du mir das vor der Abfahrt noch bei. Ich muss doch wenigstens ohne fremde Hilfe herausbekommen können, wann ich wo zu sein habe.«
    »In Afrika wirst du kein deutsches Kursbuch mehr brauchen, mein Guter. Wenn ich mir die Lage genau begucke, wirst du überhaupt nie mehr ein deutsches Kursbuch brauchen. Wichtig für uns alle ist jetzt ja nur, dass wir den letzten Zug nicht verpassen. Augen zu und los. Komm, das haben schon ganz andere geschafft.«
    Mit dem Zug, der um zehn Uhr nach Dresden abfuhr, hatte Heini langjährige Erfahrungen. »Der war nie besonders beliebt bei den Leuten«, sagt er an Walters
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