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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt
Autoren: Stefanie Zweig
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wieder hingekommen.
    »Was ist los?«, fragte Jettel.
    »Vergiss es«, sagte Walter, »dein Mann ist ein Trottel. Ein ganz erbärmlicher Idiot.«
    Trotz der Januarkälte, die noch in der Bahnhofshalle den Atem dampfen ließ, wurde ihm heiß. Und übel. Trotzdem verlangte es ihn nach einer Zigarette, aber sein Sinn für Haltung und Würde sträubte sich, den Abschied mit einer so profanen Handlung einzuläuten. Eine Trennung, von der man nicht wusste, wie lang sie vom Schicksal bemessen war, erforderte bestimmt eine tragende Geste, wenigstens ein bedeutsames Wort, das in Erinnerung blieb. In der Jugend hatte der Schüler Redlich immer wieder bedauert, dass ihm das Romantische so gar nicht gegeben war. Die meisten seiner Mitschüler hatten Gedichte verfasst oder feinsinnige Sprüche gesammelt, um beim Rendezvous die Mädchen zu beeindrucken. Er hingegen hatte der schönen Rosemarie einen Erzählband von Ernst von Wildenbruch mit dem Titel »Das edle Blut« geschenkt. Doch die blonde Angebetete mit dem reizvollen Silberblick hatte Walter einen komischen kleinen Spießer genannt, und er war nie dahintergekommen, was an Wildenbruch nicht stimmte. Betreten steckte er die Packung »Juno« zurück in die Manteltasche. Er überlegte, wie er sich künftig Zigaretten kaufen sollte - er wusste ja noch nicht einmal, wie er in Kenia den Unterhalt für Frau und Kind verdienen sollte. »Ich werde das Rauchen aufgeben«, beschloss er.
    »Warum?«, fragte Jettel. »Du hast doch dein ganzes Leben geraucht. Es muss doch nicht alles anders werden.«
    »Ein bisschen anders wird uns ja gar nicht so viel schaden.
    Alles fließt, hat Heraklit gesagt. Mir hat der Gedanke immer gefallen.«
    Noch floss der Fluss nicht zu neuen Ufern. Am Vortag hatte er Jettel nicht davon abhalten können, Regina die verflixten neuen Gamaschenhosen zu kaufen. Und dann auch noch die albernen Stiefel aus hellem Ziegenleder. Wenn Gott es gut mit ihnen meinte, würde Regina nur noch diesen einen Winter in Breslau erleben und danach keine Gamaschenhosen mehr zu sehen bekommen - und Schnee schon gar nicht. In der Kinderabteilung von Wertheim hätte Walter aber nicht mit Jettel über die Mode und die Witterung in Afrika diskutieren können, ohne dass die Verkäuferin mitbekommen hätte, dass von Auswanderung die Rede war und dass sie es mit Juden zu tun hatte. Mit ihrer üblichen Chuzpe hatte Jettel das Dilemma umgehend zu nutzen gewusst. Nicht nur, dass sie für Regina die Gamaschenhosen mit den unpraktischen Stiefeln kaufte. In der Hutabteilung, in die sie Walter versehentlich bugsierte, ergatterte sie für sich eine unglaublich teure Kappe mit Pelzumrandung. Die würde in Kenia genauso fehl am Platz sein wie das Bürgerliche Gesetzbuch, seine Doktorrolle und die Urkunde seiner Ernennung zum Notar. Von den Beweisen für sein Leben in Stolz und Ehren hatte sich Walter beim Packen trotz eines ehelichen Gewitters, das noch in der Küche zu hören war, nicht trennen können. Jettel, die den Platz in Walters Koffer für ihr graues Gabardinkostüm nutzen wollte, das ihr voranreisen sollte, hatte ihn einen sentimentalen Narren genannt.
    Als Jettel schon schlafen gegangen war, hatte er mit Ina zum letzten Mal ein Glas Schlehenschnaps getrunken. Er hatte sie gebeten, nach seiner Abfahrt ernsthaft mit ihrer
    Tochter zu reden und ihr klarzumachen, dass sie nicht mehr die hoch verehrte Gattin eines Rechtsanwalts und somit auch nicht mehr die feine »Frau Doktor« war, sondern die Frau eines Emigranten und Habenichts, dem man Beruf, Ansehen und Heimat genommen hatte. »Sie ist nichts, und ich bin nichts«, hatte er seiner Schwiegermutter erklärt. »Und null und null gibt null, aber rechnen kann ja deine dickschädelige Tochter auch nicht. Ihr Mann ist ein Nebbich. Er ist auf dem Weg in ein Leben, in dem es ganz bestimmt nicht auf Fellmützen ankommt, mit denen die gnädige Frau im Cafehaus fremden Männern den Kopf verdreht, sondern auf Hände, die zupacken können. Sämtliche der verdammten gesellschaftlichen Gepflogenheiten, an die wir uns noch festgeklammert haben, als das Boot schon am Sinken war, sind keinen Pfifferling mehr wert. Wie die Vollidioten haben wir uns benommen, und ich werde mir das bis zum letzten Tag meines Lebens nicht verzeihen. Von jetzt ab muss deine Frau Tochter jeden Pfennig für die Schiffspassagen zurücklegen, die sie hoffentlich in ein paar Monaten schon buchen kann. Sag ihr das. Am besten drei Mal täglich.«
    »Sie wird das alles noch lernen«,
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