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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt
Autoren: Stefanie Zweig
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jenen Worten zu greifen, deren Bedeutung ihr nicht auf Anhieb klar wurde, um ein junges Gespräch am Leben zu halten. »An Leobschütz kann ich mich gar nicht mehr richtig erinnern«, sagte sie. »War da nicht etwas mit einem Schaukelpferd?«
    »Und ob da was mit einem Schaukelpferd war! Du hast monatelang davon geredet«, hielt ihr Jettel vor. »Meistens, wenn du mit der ganzen Welt böse warst. Du kannst dir gar nicht vorstellen, wie oft ich mir gewünscht habe, wir hätten das verdammte Ding mitgenommen. Aber dein Vater hat wieder einmal alles besser gewusst.«
    »Und jetzt weiß ich überhaupt nicht, wie so ein Holzpferd aussieht. Und was ein Kind damit macht.«
    »Vielleicht können wir deinem Bruder eins kaufen«, sagte Walter. »Als Symbol, dass wir alle in ein neues Glück reiten.«
    »Welches Glück?«, schniefte Jettel. Sie glättete ihr nasses Taschentuch auf dem Schoß.
    »Das Glück, dass wir noch einmal von vorn anfangen dürfen.«
    »So etwas Dämliches kann nur ein Mann sagen.«
    »Tut mir leid, Jettel, du hast nun mal einen Trottel geheiratet. Du hättest auf deinen Onkel Bandmann hören müssen.«
    »Das habe ich ja. Er hat gesagt, ich soll dich heiraten, obwohl du ein Trottel bist. Du wärst ein anständiger Kerl.« »Nur die Trottel sind anständig.«
    Regina lachte, obwohl sie den Dialog ihrer Eltern seit Jahren kannte. Wort für Wort. Sie kannte jeden Blick und jede Geste. Sie wusste Bescheid. In der Nacht, als sie um den Bruder geweint hatte, der nicht hatte leben dürfen, hatte ihr Owuor das Geheimnis ihrer Eltern verraten. Sie kämpften bei jeder Gelegenheit miteinander wie Kinder ohne Verstand, doch ihre Liebe hielt sie zusammen wie zwei Bäume, deren Wurzeln zusammengewachsen waren.
    »Woran denkst du, Regina? Du siehst so vergeistigt aus.« »Lass sie«, sagte Jettel, »es reicht doch, wenn du dich mit mir zankst.«
    »An Romeo und Julia.«
    »Das sieht meiner klugen Tochter ähnlich. Geht auf große Reise und denkt an Romeo und Julia. Die beiden sind keinen Meter von Verona weggekommen. Und außerdem konnten sie noch nicht einmal eine Nachtigall von einer Lerche unterscheiden.«
    »Woher weißt du?«, fragte Regina überrascht.
    »Dein Vater ist gar nicht so ungebildet, wie er aussieht. Auch deswegen will er wieder zurück nach Deutschland. Damit ihn seine Kinder nicht als einen Refugee verachten, der nicht bis drei zählen kann.«
    »Das habe ich nie getan«, verteidigte sich Regina, »das wäre mir überhaupt nicht eingefallen.«
    Sie schämte sich, als sie das sagte, denn sie wusste genau, dass ihr Leben nicht in so glatten Bahnen verlaufen und sie keine Heldin gewesen war. Sie dachte an die Nakuru School und ihre Träume, eines Tages aufzuwachen und eine Mutter zu haben, die karierte Männerhemden trug und mit ihrem Mann auf die Löwenjagd ging, und einen Vater, dessen Zunge nicht über jedes zweite englische Wort stolperte und der wusste, wer Florence Nightingale war. Regina biss sich auf die Lippen. Als Erinnerung und Warnung. Es war eine Provokation, zu viel zu reden, wenn die Gedanken auf Safari gingen.
    Walter sollte die Safari seines Kopfes keinen Tag mehr vergessen - sie war die schmerzlichste, zu der er je aufgebrochen war. In all den Jahren der Emigration war er davon ausgegangen, dass er auf der Rückfahrt nach Deutschland nichts als den Jubel des Heimkehrers empfinden würde. Als beseligten Odysseus hatte er sich gesehen, begrüßt von Frau und Hund und Dienerschaft. Doch bereits auf dem Bahnhof in Nairobi hatte der Reisende ein für alle Mal begriffen, dass das Schicksal seiner Geschichte ein anderes Ende zugedacht hatte. Sergeant Walter Redlich, der deutsche Patriot, auf den in Mombasa das britische Militärschiff »Almanzora« wartete, um ihn und die Seinen zurück nach Europa zu bringen, hatte keine Heimat mehr. Heimat, das wären Sohrau und Leobschütz gewesen, die Freunde, die vertraute Sprache, die geliebte Landschaft. Heimat hätte das Wiedersehen mit Vater und Schwester, mit Ina und Käthe bedeutet. Das Wort Heimat stand für Leben, nicht für Tod. Walter hatte zu keinem Zeitpunkt seines Lebens versucht, sich selbst zu täuschen. Er war der Mann der Logik geblieben, der auch die eigenen Empfindungen, Wünsche, Niederlagen und Irrtümer zu analysieren imstande war. Wie ein naives Kind, das nur glaubt, was es glauben will, hatte er sich jahrelang von seinen Illusionen und Hoffnungen blenden lassen und sich geweigert, wissentlich Traum und Hoffnung verloren zu geben.
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