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Nur die Liebe bleibt

Titel: Nur die Liebe bleibt
Autoren: Stefanie Zweig
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glaub, du machst das absichtlich.«
    Sie sah, wie zwei Frauen sich anschauten und dass beide den Kopf schüttelten, merkte, dass getratscht wurde, und hörte Frau Schlachter, die ihr immer einen Eiswürfel geschenkt hatte, wenn sie an deren Wohnung vorbeiging, »schrecklich« sagen. »Es ist doch ein Verbrechen, das arme Ding hier aus allem so herauszureißen. Sie spricht ja immer nur Englisch mit dem Kleinen. Das sagt doch alles.«
    »Oft auch Suaheli«, widersprach Frau Ehrmann. »Die redet wie eine Eingeborene. Das zeigt doch besser als tausend Worte, dass das Mädchen hier ganz tiefe Wurzeln geschlagen hat. Sie soll ja auch so gut in der Schule sein. Wenigstens an seine Kinder hätte doch der famose Doktor Redlich denken können. Man reißt Kinder nicht ohne einen triftigen Grund aus ihrer vertrauten Umgebung heraus. Schon gar nicht, um sie nach Deutschland zu verfrachten. Nach allem, was geschehen ist. Aber mir war der gute Mann schon immer suspekt. Hat kein Schamgefühl. Geht zur Army und singt deutsche Lieder. Mich wundert es, dass sie ihn dort nicht längst rausgeschmissen haben. Er hat sich ja auch geweigert, seine Einbürgerungspapiere einzureichen.«
    »Ich hab gehört, die Frau will absolut nicht zurück. Es soll ganz schreckliche Kräche gegeben haben in der Ehe. Die Aja hat meinem Boy erzählt, wie dort die Tassen geflogen sind.«
    »Das hat die gnädige Frau nun davon, dass sie sich nicht von ihrem Rosenthal-Service trennen wollte. Ich hab meines längst verkauft. Erinnerungen sind Löcher im Herzen.«
    Regina drückte ihre Augen fest zu. Nichts mehr hören und sehen wollte sie. Sich in einer Wolke von Rauch und Feuer auflösen wie die Ritter und Drachentöter, wenn die Gefahr sie umzingelte und sie den Himmel um Rettung anflehen mussten. Bis sie im Zug saß und sich dem Schutz der vorbeifliegenden Bäume und der untergehenden Sonne anvertrauen durfte, sollte sie keiner sehen und niemand mehr ansprechen. Vor allem sollte es keiner noch einmal wagen, von ihrem Vater zu reden, als sei er zugleich ein Narr, der nicht wusste, was er tat, und ein Frevler, der seine Kinder ins Verderben führte.
    »Auf einem Besenstiel werde ich durch die Luft fliegen«, flüsterte sie ins linke Ohr ihres schmatzenden Bruders. »Und mit einem Scheuerlappen werde ich allen Leuten den Mund zustopfen, die nur ein böses Wort über unseren Vater sagen. Ich weiß, wie man mit einem Scheuerlappen Leute erstickt.« »Hapana«, spuckte Max und winkte mit einem Schokoladenkeks einem Hund zu.
    »Warum lernst du nicht endlich mal >diu< zu sagen? Diu heißt ja. Hörst du, diu, diu, diu.«
    »Warum soll er überhaupt noch Suaheli lernen, wo wir doch fortmüssen von hier?«, klagte Jettel mit dem Trotz in der Stimme, den sie in Sekundenschnelle herbeizubefehlen wusste. »Sprich lieber Englisch mit ihm, Regina. Englisch ist eine Weltsprache. Die kann er immer gebrauchen. Das haben wir ja erlebt.«
    »Quatsch«, sagte Walter. Er war auf dem Weg, um sich von dem alten Arthur Sedlacek zu verabschieden, der auch aus Oberschlesien stammte und mit dem er sich so gern über Oppeln und Wellwürste unterhalten hatte. Walter gab seiner Tochter einen zärtlichen Klaps auf den Rücken. »Mach meinen Sohn nicht verrückt. Der hat von jetzt an nur ein Vaterland und eine Muttersprache. Englisch braucht er frühestens in der Sexta zu lernen. Aber wahrscheinlich wird er aufs humanistische Gymnasium gehen. Wie sein Vater.«
    »Damit er überall auf der Welt ein Trottel ist«, parierte Jettel.
    Auf der Stelle in den Zug einsteigen wollte Regina. Der sollte zwar erst in einer halben Stunde abfahren, aber er stand schon seit zehn Minuten da. Ein müder Mann in einer grünen Hose wischte mit einem dreckigen Lappen über die verschmierten Scheiben. Die ersten Bettlerinnen tauchten auf, die Hände schon geöffnet. Allerdings waren ihre Augen noch zu fröhlich. Zwei schwatzten so lebhaft miteinander, als gehörten sie zu dem Kreis, der gekommen war, um Abschied von den Redlichs zu nehmen.
    Regina schob ihren Körper in Richtung Bahnsteig. Ihre Mutter sah es, unterbrach ihren vermutlich letzten Disput mit ihrer Nachbarin im »Hove Court« und hielt ihrer Tochter vor: »Wir haben doch noch massig Zeit. Du bist wie dein Vater. Der denkt auch immer, der Zug fährt ohne ihn ab. Hat er schon in Breslau gemacht. Warum setzt du dich nicht auf den braunen Koffer und stellst Max mal auf die Füße? Das wird euch beiden gut tun.«
    Jettel sah jung und vornehm aus in dem
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