Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nullzeit

Nullzeit

Titel: Nullzeit
Autoren: Colin Forbes
Vom Netzwerk:
als hätte er einen Schlag in den Magen bekommen. Trotz aller Anstrengungen machte sich in seiner Hand ein leichtes Zittern bemerkbar, und Martin fühlte es. Seine fiebrigen Augen öffneten sich zu einem Starren. »Glauben Sie mir«, keuchte er. »Sie müssen mir glauben …«
    Grelle wandte sich an Boisseau und flüsterte seinen Befehl. »Niemand darf hier herein - nicht einmal der Arzt. Auf dem Weg herein habe ich in der Nähe des Eingangs einen Gendarmen gesehen - holen Sie ihn, postieren Sie ihn vor dieser Tür und kommen Sie dann wieder …«
    Grelle blieb zwanzig Minuten bei dem sterbenden Martin. Der Präfekt wußte, daß sein Verhör den Tod des armen Teufels beschleunigte, er wußte aber auch, daß es Martin nichts ausmachte. Dieser wollte nur reden und seine Botschaft weitergeben, bevor er starb. Boisseau kehrte wenige Minuten später ins Krankenzimmer zurück, nachdem er den Gendarmen angewiesen hatte, vor der Tür Posten zu beziehen. Einmal wollte ein Priester sich mit Gewalt Zutritt verschaffen, aber Martin gab zu verstehen, daß er Agnostiker sei, und wurde so aufgeregt, daß der Geistliche sich zurückzog.
    Für Grelle war das Ganze eine Qual; zu versuchen, den Mann dazu zu bringen, zusammenhängend zu sprechen, zu beobachten, wie Martins Haut unter dem Schweißfilm immer grauer wurde, zu spüren, wie Martins Hand seine eigene ergriff, um die Verbindung zu den Lebenden und zum Leben aufrechtzuerhalten. Am Ende der zwanzig Minuten war das, was Grelle aus Martin herausgebracht hatte, meist nur unzusammenhängendes Gestammel, eine Folge von Sätzen ohne jede Beziehung zueinander, aber dennoch zog sich so etwas wie ein Faden durch die wie im Delirium gemurmelten Sätze. Dann starb Martin. Die Hand in Grelles Hand wurde schlaff wie die eines schlafenden Kindes. Der Mann, der Paris seit mehr als dreißig Jahren nicht gesehen hatte, war zurückgekehrt, um dort innerhalb von achtundvierzig Stunden nach seiner Ankunft in Frankreich zu sterben.
    Nach der Rückkehr in die Präfektur mit Boisseau verschloß Grelle die Tür und sagte seiner Sekretärin am Telefon, er könne im Augenblick keine Gespräche mehr annehmen. Dann trat er ans Fenster und starrte auf die regennasse Straße hinunter.
    »Falls mir etwas zustoßen sollte«, erklärte er, »muß irgendein anderer über diese Sache Bescheid wissen - jemand, der die Ermittlungen weiterführen kann. Obwohl ich noch immer bete, daß Martin sich geirrt hat, daß er nicht wußte, wovon er sprach …«
     »Wovon hat Martin denn gesprochen?« fragte Boisseau diplomatisch.
     »Das wissen Sie genausogut wie ich«, entgegnete Grelle brutal. »Er hat gesagt, daß jemand, der gestern abend den Elysée-Palast besucht hat, jemand, der wichtig genug ist, um von den Wachen gegrüßt zu werden - es muß sich also um ein Kabinettsmitglied handeln -, ein kommunistischer Spitzenagent ist…«
     Auf Grelles Anweisung schickte Boisseau ein Blitztelegramm an den Polizeichef von Cayenne, Guyana, mit der dringenden Bitte um Übermittlung sämtlicher Informationen über Gaston Martin. Danach versuchten sie, Klarheit in die verworrene und über weite Strecken unzusammenhängende Geschichte zu bringen, die Martin ihnen erzählt hatte.
     Martin hatte etwa eine Stunde lang in der Nähe des Elysée-Palasts gestanden - wahrscheinlich zwischen 19.30 Uhr und 20.30 Uhr, manchmal an der Stelle des Bordsteins, an der Lucie Devaud erschossen worden war, manchmal war er zum Place Beauvau hinaufgegangen und dann wieder zurück. Zumindest waren sie sich der Zeit 20.30 Uhr sicher, als ein Wagen ihn überfahren hatte, denn dieser Vorfall war von einem der Wachtposten des Elysée-Palasts beobachtet worden. »Zum Teil beobachtet«, erklärte Boisseau. »Ich habe den Inspektor angerufen, der für diesen Fall zuständig ist, während Sie auf dem Weg zum Krankenhaus waren. Dieser Dummkopf von Wachtposten ist sich nicht einmal sicher, von welcher Marke der Wagen ist, der Martin überfahren hat …«
     Martin hatte geschworen, er habe zu einem bestimmten Zeitpunkt in dieser Stunde gesehen, wie der ihm früher als der Leopard bekannte Mann in den Elysée-Palast hineinging und von den Wachen salutiert wurde. Es war diese kurze Aussage, die Grelle so viel Kopfzerbrechen machte. »Sie haben salutiert …«
     Martin hatte nur eine vage Beschreibung des Mannes abgegeben; zu der Zeit, als Grelle dazu gekommen war, nach dem Aussehen des Mannes zu fragen, war der sterbende Mann immer schwächer geworden. Zudem
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher