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Nullzeit

Nullzeit

Titel: Nullzeit
Autoren: J Zeh
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nacheinander duschen, falls wir warmes Wasser haben wollen. Nicht aus der Leitung trinken. Keine Gartenmöbel auf die Bewässerungsschläuche stellen. Bescheid sagen, wenn wir ins Internet wollen, damit Sven die Satellitenschüssel justieren kann. Nicht schwimmen, nicht spazieren gehen – das wussten wir schon.
    Ich stand dann lange im Garten und sah zu, wie das Meer mit sich selber spielte. Plötzlich war der alte Mann hinter mir, ein Glas Rotwein in der Hand. Er legte mir den Arm um die Schultern, drückte mich an sich und küsste mich auf den Scheitel.
    »Kleine Jola«, sagte er, mehr nicht.
    Mir wurden die Augen feucht. Ich hielt mich an ihm fest. Wenn er will, kann er sich gut und richtig anfühlen. So ist es immer: Man fährt meilenweit weg, um weniger bequem zu schlafen und sich besser zu verstehen.

2
    E in typischer Abend. Alle Fenster offen. Warme Luft fuhr durchs Haus und beseitigte den Unterschied zwischen drinnen und draußen. In der Küche klapperte Antje mit den Töpfen. Ein Geräusch, so gemütlich wie Regen auf einem Zeltdach. Ich saß gern am Computer in unserem winzigen Arbeitszimmer, während sie nebenan am Herd hantierte.
    384.000 Treffer bei Google. Das war ein Schock. Auch wenn ich nicht recht wusste, was mich erschreckte. Im Hintergrund lief die Software zum Auslesen des Tauchcomputers. Sollte Antje im Türrahmen erscheinen, konnte ich blitzschnell umschalten. Ich hatte keine Lust zu erklären, was ich da machte und warum. Eigentlich war es nicht meine Art, Kunden zu googeln.
    Das halbe Internet schien aus Jola zu bestehen. Wikipedia-Eintrag, Fan-Seiten, Facebook-Profil, Twitter, Pressemeldungen, You Tube. Hunderte von Fotos. Wie viele Gesichter ein Mensch besitzen konnte. Je länger ich schaute, desto schneller schienen sie sich zu vermehren. Von Seite zu Seite, von Link zu Link. Es war faszinierend. Und irgendwie abstoßend.
    »Jolante Augusta Sophie von der Pahlen, Künstlername: Jola Pahlen, geboren am 5. Oktober 1981 in Hannover, ist eine deutsche Schauspielerin. Von der Pahlen entstammt einem baltischen Adelsgeschlecht. Im Alter von elf Jahren spielte sie eine CD mit Kinderliedern ein und übernahm einen Gesangspart in einer Inszenierung von »Woyzeck« am Staatstheater Hannover. Erste Fernseherfahrungen sammelte sie 1995–1997 im Kinderprogramm »Toggo« von Super RTL. Seit dem 4. Dezember 2003 spielt von der Pahlen in der SAT.1-Telenovela »Auf und Ab« die Rolle der Bella Schweig. Von der Pahlen lebt mit dem Schriftsteller Theodor Hast zusammen. – Jola Pahlen in der deutschen und englischen Version der Internet Movie Database.«
    An der Zimmerdecke erklang ein Zwitschern. Der Gecko hatte seinen Schlafplatz hinter der Vorhangstange verlassen und machte sich für die abendliche Insektenjagd bereit. Als ich ihn vor Jahren zum ersten Mal gesehen hatte, war er drei Zentimeter lang und fast durchsichtig gewesen und hatte keine Ahnung vom Leben gehabt. Inzwischen war er länger als mein Zeigefinger und wusste, dass er mich nicht zu fürchten brauchte. Ich hatte ihn Emil getauft, auch wenn Antje sagte, dass er ein Weibchen sei. Sie behauptete, es gebe von dieser Gecko-Art überhaupt keine Männchen. Die weiblichen Tiere würden sich durch Klonen vermehren. Dabei grinste sie mich an, als handelte es sich um einen feministischen Schachzug der Natur. Mich störte das nicht. Ich mochte Emil. Er hatte wunderschöne Füße und lief mit Nanotechnik kopfunter an der Decke entlang.
    »Frau Pahlen, Sie entstammen einer adligen Familie. Inwieweit hat Sie das geprägt?«
    »Jeden Menschen prägt seine Herkunft. Ich habe von meiner Familie gelernt, schöne Dinge zu bewahren. Wenn ich sehe, wie jemand ein Wasserglas ohne Untersetzer auf einen Biedermeiertisch stellt, bereitet mir das körperliche Schmerzen. Achtlosigkeit ist der schlimmste Feind der Schönheit.«
    »Ihr Vater ist ein erfolgreicher Filmproduzent. Ihre Familie ist reich. Sehnen Sie sich manchmal danach, etwas aus eigener Kraft zu schaffen?«
    »Alles, was ich tue, geschieht aus eigener Kraft. Weder mein Vater noch meine Familie stehen bei ›Auf und Ab‹ vor der Kamera. Das bin ich.«
    »Aber es heißt doch, Ihr Vater hätte Ihnen die Rolle bei AuA besorgt?«
    »Erfolg braucht immer eine Mischung aus Glück, Fleiß und Talent.«
    »Frau Pahlen, Sie sind seit letzter Woche 30 Jahre alt. Wird es nicht Zeit, bei AuA aufzuhören?«
    »Warum? Glauben Sie, dass man mit 30 für Telenovelas zu alt ist?«
    »Für Telenovelas nicht, aber
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