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Nullzeit

Nullzeit

Titel: Nullzeit
Autoren: J Zeh
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Begrüßung.«
    Das Willkommenstheater würde ich ihnen im Auto erklären.
    »Mein Wagen steht draußen«, sagte ich.
    Bernie hatte seine zweite Familie um sich versammelt, Laura stand inmitten einer Gruppe junger Deutscher. Alle schwiegen und blickten zu uns herüber. Ich schaute zurück und hob fragend die Achseln. Antje hätte mich ausgelacht und wieder einmal behauptet, ich sei »schwer von Kapee«. Theodor und Jolante hatten ihre Rollkoffer gegriffen und schlenderten Richtung Ausgang. Er im Maßanzug ohne Hemd und Krawatte, das Sakko offen über einem hellen T-Shirt. Sie in Militärstiefeln zu einem grauen Leinenkleid, ärmellos, der Rock bis zum Knie. Das schwarze Haar auf ihrem Rücken glänzte wie Krähengefieder. Sie stießen einander mit der Schulter an, lachten über etwas. Blieben stehen und drehten sich nach mir um. Jetzt sah ich es auch: Sie wirkten nicht wie Urlauber. Eher wie Models für eine Ferienreklame. Irgendwie kamen sie mir bekannt vor. Die halbe Ankunftshalle starrte sie an. Das Wort »Prachtexemplare« kam mir in den Sinn.
    »Dann mal viel Spaß«, sagte Laura mit Blick auf die Beine der Frau von der Pahlen.
    »Canalla«, sagte Bernie grinsend und schlug mir auf die Schulter, als ich an ihm vorüberging: Du Mistkerl. Seine Familien waren rothaarig. Das bedeutete Sonnenbrand und nervöse Kinder.
    Draußen auf dem Parkplatz öffnete ich meinen Kunden die Seitentür des VW-Busses, aber sie fanden es lustiger, mit mir vorne zu sitzen. Der Bus verfügte über eine Fahrerbank mit drei Plätzen; Theodor quetschte sich in die Mitte. Mein nacktes Bein in Shorts schien unpassend neben seiner Anzughose. Als ich den Gang einlegte, streifte meine Hand seinen linken Oberschenkel. Für den Rest der Fahrt presste er die Knie zusammen.
    »Wir duzen uns hier. Wenn’s euch recht ist.«
    »Theo.«
    »Jola.«
    Wir reichten uns die Hände. Theos Finger lagen warm, aber schlaff in den meinen. Jola hatte den festen Händedruck eines Mannes, fühlte sich aber erstaunlich kalt an. Sie kurbelte das Fenster ein Stück herunter und hielt die Nase in den Wind. Ihre Sonnenbrille gab ihr das Aussehen eines Insekts. Eines niedlichen Insekts, das musste ich zugeben.
    Arrecife war eine Konzentration von Unannehmlichkeiten. Behörden, Gerichte, Polizei, Hotelanlagen, Krankenhäuser. Man fährt nur hin, wenn es ein Problem gibt, pflegte Antje zu sagen. An diesem Tag wusste ich noch nicht, dass ich eins hatte. Ich genoss es, die Stadt zu verlassen, drückte aufs Gas, erreichte die Ausfallstraße und Fluchtgeschwindigkeit. Die Landschaft öffnete sich. Ein paar bärtige Palmen am Straßenrand, dahinter alles schwarz bis zum Horizont. Eine Schönheit im klassischen Sinn war die Insel nicht. Vom Flugzeug aus betrachtet, glich sie einem riesigen Kieswerk. Braungraue Hügel, in deren Senken Schneereste zu liegen schienen. Im Landeanflug erkannte man, dass es sich bei den hellen Flecken um Ortschaften handelte, aus weißen Häusern zusammengesetzt. Eine Landschaft ohne nennenswerte Vegetation hatte es ebenso schwer wie eine Frau, die nichts Passendes zum Anziehen besitzt. Gerade für ihre fehlende Eitelkeit hatte ich die Insel von Anfang an geliebt.
    Wie war euer Flug, wie ist das Wetter in Deutschland?
    Wie groß ist die Insel, wie viele Menschen leben hier?
    Ich wählte die Route durchs Weingebiet. Unzählige trichterförmige Mulden, an deren Grund jeweils eine Rebe Schutz und fruchtbaren Boden fand. Dass es Menschen gab, die für jede einzelne Pflanze ein metergroßes Loch in die Lapillischicht gruben, den Rand mit einer kleinen Steinmauer befestigten und auf diese Weise fünftausend Hektar wie einen Schweizer Käse durchlöcherten, faszinierte mich immer wieder aufs Neue. In der Ferne leuchteten die Krater des Timanfaya rötlich, gelb, violett und grünlich von den Flechten, die das Vulkangestein überzogen. Die einzige Pflanze, die in dieser Umgebung wuchs, war ein Pilz. Ich wartete, wer als Erstes »wie auf dem Mond« sagen würde.
    »Wie auf dem Mond«, sagte Jola.
    »Erhaben«, sagte Theo.
    Als Antje und ich vor vierzehn Jahren angekommen waren, ausgestattet mit zwei Rucksäcken und dem Plan, einen möglichst großen Teil unserer Zukunft auf der Insel zu verbringen, wenn auch nicht unbedingt gemeinsam, da war sie es, die beim Anblick des Timanfaya »wie auf dem Mond« gesagt hatte. Ich hatte etwas wie »erhaben« gedacht und nicht das richtige Wort dafür gefunden.
    »Wenn man Geröll mag«, sagte Jola.
    »Du hast keinen Sinn
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