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Nullzeit

Nullzeit

Titel: Nullzeit
Autoren: J Zeh
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es immer mit Gästen in der Casa.
    Drüben erklärte Antje Herd, Mikrowelle und Waschmaschine. Theo schien zuzuhören, während sich Jola aufs Sofa fallen ließ. Ihr Kopf hüpfte im Fenster auf und nieder; wahrscheinlich prüfte sie die Federung. Ich war versucht, mir auszumalen, wie Theo sie über den Esstisch warf, ihr das Kleid hochschob – und löschte die Vorstellung gleich wieder. Kundinnen waren tabu. Ich arbeitete in einer Branche, in der man Badehosen als Arbeitskleidung trug.

Jolas Tagebuch, erster Tag
    Samstag, 12. November. Nachmittags.
    Unglaublicher Ort. Weiße Fassaden mit verrammelten Fensterläden. Pralle Sonne und schwarzer Sand. Jeden Augenblick kann Zorro um die Ecke biegen. Man will sofort ein Duell abhalten. Die Luft schmeckt salzig. Ich find’s genial hier, aber weil Theo es auch mag, muss ich natürlich das Gegenteil behaupten. Die erhabene Ästhetik des Kargen! Alles klar, alter Mann. Entspann dich doch einfach mal. Die Welt wird nicht schöner, wenn du deine Poesie drüber kippst. Auch nicht größer, wichtiger oder besser. An der Welt prallst du einfach ab. Wie das Meer an den Felsen zersprühen deine Worte und fließen in dich selbst zurück. In zehntausend Jahren hättest du vielleicht eine kleine Ecke rund geschliffen, aber so alt wirst du nicht. Du am allerwenigsten.
    Aber ich halte den Mund. Spreche nicht über Literatur und nicht vom Sterben. Wir geben uns Mühe. Das wird ein schöner Urlaub. Ich werde ihn nicht provozieren, und er wird sich nicht provozieren lassen. Waffenstillstand.
    Na ja, Urlaub: Eigentlich bin ich hier, weil ich diese Rolle will. Ich brauche die Rolle. Lotte ist meine letzte Chance. Ich habe Lottes Foto aus dem Buch gerissen und im Schlafzimmer übers Bett gepinnt. Ich könnte sie die ganze Zeit anschauen. Das Mädchen auf dem Meeresgrund. Wie sie sich in rotem Badekostüm und altmodischer Taucherausrüstung an einem Wrack festhält. Die Augen stark geschminkt hinter der Taucherbrille. Das lange Haar schwebt ihr wie eine Wasserpflanze um den Kopf. Sie ist so schön. Und stark. Eine Kämpferin. Herd und Kinder waren ihr nicht genug. Sie suchte die Gefahr. Ihr Tagebuch ist spannend wie ein Krimi. In den Fünfzigern war Tauchen kein Sport, sondern Pionierarbeit. Eine Mutprobe für Männer, nicht für Frauen. Lotte war das erste Mädchen, das darauf bestand, mit den Fischen zu schwimmen. Theo hat das Foto über dem Bett bemerkt und sich auf die Lippen gebissen.
    Sven ist ein Strahlemann. Nur zwei Jahre jünger als Theo, aber anders gebaut. Schwimmhäute zwischen den Zehen, Kiemen hinter den Ohren. Der schaut mich nicht an. Sieht mich gar nicht. Wahrscheinlich, weil ich kein Fisch bin. Den soll er ja auch erst aus mir machen. Dafür wird er bezahlt, und nicht zu knapp.
    Dem Sven seine – ja was? – heißt Antje. Assistentin? Frau? Schwester? Sekretärin? Vorgestellt hat sie sich als »die Antje«. Als wäre das Berufsbezeichnung und Familienstand in einem. Sven hat derweil in die Luft geguckt. Anscheinend ist die Antje ihm peinlich. Dabei ist sie ein kleiner Hingucker, plaudert viel und riecht nach Nivea. Blond wie eine Schwedin. Ins Wasser geht sie nicht. Das hat sie uns gleich zu Anfang erklärt. Das Wasser sei Svens »Aggregatzustand«. Element oder Metier hat sie wohl gemeint. Dem alten Mann geht so was durch Mark und Bein. Wer nicht richtig sprechen kann, soll die Klappe halten, lautet seine Devise. Menschen, die bei der Vorstellung einen Artikel vor ihren Namen setzen, kann er schon gar nicht leiden. Ich bin die Antje, das ist der Sven. So reden kleine Kinder. Aber anschauen tut er die Antje trotzdem gern.
    Lahora: Das Spanischbuch an der Schule hatte diese seltsamen Beispielsätze. Meine Hunde sind unter dem Bett. Ich höre mich selber schreien. Te llegó la hora: Dir schlägt die Stunde. Kein Mensch weit und breit. Kein Auto außer Antjes Wagen mit Hund auf der Motorhaube, und ohne Auto kommt man hier gar nicht hin. Mit anderen Worten, bis auf uns ist der Ort leer. Das hat dem alten Mann gleich gefallen: Hier müsste man eine Geschichte spielen lassen! – Mach doch. Lass spielen. Schreib was, statt immer nur darüber zu reden. Ich hab nichts gesagt.
    Der alte Mann ließ den Blick auf Antjes Schwedinnen-Busen ruhen und hörte aufmerksam zu: Dass wir benutztes Klopapier nicht in die Toilette, sondern in den Eimer daneben werfen sollen, weil sonst die Rohre verstopfen. Elektrische Geräte ausstecken, wenn wir das Haus verlassen. Nicht direkt
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