Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Nullzeit

Nullzeit

Titel: Nullzeit
Autoren: J Zeh
Vom Netzwerk:
Rand der Steinwüste eine Oase entstanden, deren Bewässerung mich ein Vermögen kostete. Flamboyant, Hibiscus und Oleander blühten das ganze Jahr. Massen von Bougainvilleen warfen ihre Farbkaskaden über die Mauern, darüber streckten zwei Norfolktannen ihre dickfingrigen Nadelfächer in die Höhe. Am äußersten Ende Lahoras brannte die Blütenpracht ein Loch in die karge Umgebung.
    »Das gibt’s doch nicht«, sagte Theo, schüttelte den Kopf und lachte leise, als könnte er seinen Augen nicht trauen. Jola hatte die Sonnenbrille wieder aufgesetzt und schwieg.
    Es gab Kunden, die Lahora nicht mochten, aber niemanden, dem die Casa Raya nicht gefiel. Der schlichte weiße Würfel mit blau gestrichenen Fensterläden verfügte nur über ein Schlafzimmer, Bad und Wohnzimmer mit Kochnische, hatte aber trotz seiner geringen Größe etwas Majestätisches an sich. Unterhalb der Treppe, die zur Eingangstür hinaufführte, warf sich der Atlantik gegen die Lavafelsen. Weniger wütend als routiniert; er machte das seit ein paar Millionen Jahren. Alle zwei Minuten schaukelte sich das Wasser in der Bucht auf, bis eine zwanzig Meter hohe Fontäne in den Himmel schoss. Unglaublich, dass ein solches Schauspiel nicht das Geringste mit uns Menschen zu tun hatte. Nach ihrem Aufenthalt in der Casa schrieben die Gäste aus Deutschland, sie hätten das mythische Tosen noch tagelang im Ohr gehabt. Es war ein Geräusch, das einen bewohnte.
    Antje saß bereits auf der Treppe zur Casa und wartete. Auf der Motorhaube ihres weißen Citroëns schlief ihr Cocker Todd. Der einzige Hund im Universum, der freiwillig auf einem heißen Blech in der prallen Sonne lag. Auf diese Weise wollte er verhindern, dass man ohne ihn wegfuhr. Glaubte Antje. Als sie uns kommen sah, sprang sie auf und winkte. Ihr Kleid ein leuchtender Fleck. Sie besaß eine ganze Sammlung bunter Baumwollkleider, jedes mit anderem Muster. Dazu eine Batterie Flip-Flops in passenden Farben. An diesem Tag galoppierten grüne Pferdchen auf rotem Grund über ihren Körper. Als sie Jola die Hand gab, sah das aus, als hätte man zwei Frauen aus verschiedenen Filmen in einem Trickbild zusammengeschnitten. Theo starrte aufs Meer, die Hände in den Hosentaschen.
    Ich stellte das Gepäck auf die staubige Erde. Antje hob die Hand zum Dank. Wir hatten uns kaum begrüßt. Ich mochte es nicht, wenn sie mich in Gegenwart anderer Menschen berührte. Obwohl wir seit Jahren zusammenlebten, kam es mir immer noch komisch vor, dass wir ein Paar sein sollten. Jedenfalls in der Öffentlichkeit.
    Während ich die leeren Tauchflaschen vom Vormittag in die Garage der Residencia schleppte, wo sich die Füllstation befand, führte Antje unsere Gäste ins Ferienhaus. Die Unterbringung der Kunden gehörte zu ihren Zuständigkeiten. Außer der Casa gab es noch einige Ferienapartments in Puerto del Carmen, die sie für andere Eigentümer verwaltete. Die meisten ihrer Gäste waren meine Tauchschüler. Antje buchte, übergab Schlüssel, rechnete ab, machte sauber, pflegte Gärten, beaufsichtigte Handwerker. Nebenher führte sie das Büro meiner Tauchschule, aktualisierte die Homepage und erledigte den Papierkram der Tauchverbände. Nach unserer Ankunft auf der Insel hatte sie keine zwei Jahre gebraucht, um sich unentbehrlich zu machen. Selbst mit der Mañana-Mentalität der Inselspanier kam sie zurecht.
    Ich warf die benutzten Tauchanzüge in die Waschanlage im Garten und ging ins Haus. Plötzlich verspürte ich Lust auf einen Aperitif. Campari auf Eis. Normalerweise trank ich nur, wenn ich musste. Im Flugzeug, auf Hochzeiten oder an Silvester. Der Campari bezog sich irgendwie auf Jola und Theo. Ich roch und schmeckte das Getränk, ohne zu wissen, ob Antje es vorrätig hatte. Im Kühlschrank fand ich eine Flasche, goss reichlich ein und freute mich daran, wie die Eiswürfel knackten. Das Glas trug ich hinaus auf die untere Terrasse. Wenn man den Stuhl ganz dicht an die Brüstung stellte, konnte man quer über den Sandplatz ins Wohnzimmerfenster der Casa sehen. Gerade wurden die Vorhänge aufgezogen. Antjes buntes Kleid erschien hinter der Scheibe. Im Hintergrund sah ich Jola und Theo nachdenklich die Küchenzeile betrachten. Vermutlich waren sie Besseres gewöhnt. Oder sie fragten sich, was sie hier überhaupt kochen sollten, wo es doch in Lahora nicht einmal einen Kaugummiautomaten gab. An diesem ersten Abend würde Antje sie zum Essen einladen und morgen nach dem Tauchen mit ihnen einkaufen fahren. So machten wir
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher