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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
Autoren: Alfred Döblin
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Grinsen und Kichern mit einem Blick auf den Oberstabsarzt und den Feldwebel. Die Räte fragten die Schwestern nach dem Essen. Sie erröteten, blickten hilflos den Chefarzt an.
    Auf der Inneren Station war eine Tür verschlossen. »Was ist das?« Der Feldwebel: »Das Isolierzimmer.« »Aufschließen.« Es war eine geräumige Zelle, mit Bett und Stuhl, das Fenster oben vergittert. »Das ist ja eine Gefangenenzelle! Was ist mit ihm?« Der Chefarzt, während der Gefangene in einer Ecke der Zelle ihnen den Rücken drehte: »Zur Beobachtung. Ein Deserteur. Das Verfahren ist in Straßburg anhängig.« »Rufen Sie ihn her.« Der Feldwebel drehte den Gefangenen, einen kräftigen Menschen, um: »Walter, Visite.« Der eine Soldatenrat: »Wir sind der Soldatenrat der Garnison. Was ist mit dir?« Der Mann hatte sich Stirn und Backe schwarz beschmiert und unheimliche Kreise um seine Augen gezogen, er blickte stumpf auf den Boden. »Versteht er nicht?« Der Feldwebel wagte es, während der Chef ihm einen wilden Blick zuwarf, dem Gefangenen die Frage zu wiederholen. Der schien jetzt zu verstehen. Eine Bewegung kam in sein Gesicht, ein ängstlicher Zug erschien auf seiner Stirn. Er bekam seine Stimme nicht zum Tönen, er hatte seit Wochen kein Wort hervorgebracht. Der eine Soldatenrat trat näher, klopfte ihm auf die Schulter: »Soldatenrat der Garnison. Verstehst du? Wo bist du her?« »Kaiserslautern.« »Siehste. Es ist Revolution. Der Krieg ist aus.«
    Der beschmierte Mann blickte von einem zum andern. Der Feldwebel gab sich einen Ruck und stellte sich neben den Gefangenen. »Es stimmt. Der Krieg ist aus.« Der Gefangene zog die Nase zusammen. Der Feldwebel nickte ihm zu. Da schob der beschmierte Mann ihm sein Gesicht entgegen und grunzte: »Du bist ein Schwein.« Der Feldwebel lächelte: »Das sagt er immer zu mir.« Die beiden Soldaten packten den Mann bei den Armen. »Na komm, Kerl, sei friedlich.« Sie zerrten ihn zur Tür heraus, er sträubte sich, schrie: »Hilfe! Mörder!«
    »Schmeißt die Tür zu«, schrie wütend der Soldatenrat. Der Chefarzt stand unbeteiligt vor der Zelle. Der Soldat brüllte ihn an: »Sagen Sie’s ihm doch.« »Was?« schnaubte der Chefarzt. »Der Krieg ist aus. Er versteht’s nicht.«
    Da pflanzte sich der Chef vor dem Gefangenen auf: »Sie können das Theater jetzt wirklich lassen. Der Krieg ist zu Ende.« Der ältere Soldatenrat grollte: »Wir haben Revolution.«
    Der Mann, der wie ein gehetztes Wild den Rücken an die Zellentür drückte, brüllte: »Ihr Drecker, ihr Schweine!« Es scholl durch die Säle. Im Gang sammelten sich Kranke.
    »Was willst du«, schrie der ältere Soldatenrat. »Mistvieh«, antwortete der Gefangene und wollte ihm an die Kehle. Der Feldwebel umfaßte ihn von hinten. »Zurück in die Zelle«, schnob der angegriffene Soldat.
    Der Chefarzt strich mit Genugtuung an seinem weißen Mantel herunter. Er kam langsam zu sich, richtete sich zu seiner ganzen Länge auf. Er zwinkerte zum ersten Mal seinem Feldwebel zu, der sich prompt mit dem Notizblock an seine Seite stellte.

    Um dieselbe Zeit – es war weit über Mittag, und das bestellte salzfreie Menu wartete zu Hause vergeblich auf den Chefarzt –, um diese frühe Nachmittagsstunde, wo es sich täglich bewölkte und der Dauerregen einsetzte, der die Straßen überschwemmte, hielten sich in einer Villa, jenseits der Felder um das Lazarett, im Korridor der Parterrewohnung, ein Mann und eine Frau umschlungen.
    Er trug Offiziersuniform, vom Mantel waren die Epauletten abgerissen, die Mütze, die er auf dem Kopf hatte, war ohne Kokarde, er stand in hohen gelben Ledergamaschen. »Komm herein, Hans, komm, ich bitte dich, nein, es ist niemand da, du zitterst, wie siehst du aus.« »Deine Eltern nicht da, Hanna, wirklich nicht? Du verrätst mich nicht.« »Ich verrate dich, mein Gott, Hans.« »Verzeih. Ich lungere in einem Stall in der Kaserne seit heute morgen herum, jetzt sind sie abgezogen, ich bleib’ hier. Kannst du mich unterbringen? Ich will dir nicht die Stube schmutzig machen.« »Du kannst, Hans. Da, deine Mütze. Du ziehst den Mantel aus. Ich verlange es. Ich warte schon den ganzen Tag auf dich.« »Du verrätst mich nicht, Hanna.«
    Ein wohlig stiller Raum, Gaslicht brannte drin, auf dem runden plüschgedeckten Tisch stand ein Rosenstrauß in einer langen Glasvase, es war warm, eine große schwarze Standuhr tickte. An seinem Hals weinte sie. Sie war schlank, älter als er, ganz in Schwarz gekleidet. Er flüsterte:
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