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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
Autoren: Alfred Döblin
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simuliert sich was vor. »Alle im Dienst, Kralik?« »Eigentlich ja, Herr Oberstabsarzt«, der Mann grinste, »bloß die beiden neuen Schwestern aus der Stadt, die bleiben zu Hause, ist ihnen am sichersten.«
    Der Oberstabsarzt notierte, wie der Mann heraus war, auf seinem Kalenderblock den Stand des Barometers, las die Zimmertemperatur ab und notierte sie gleichfalls. Darauf machte er in der linken Ecke des Kalenders, wo man den Sonnenaufgang und -untergang meldete, einen kleinen Kreis und einen Pfeil mit zwei Spitzen. Das bedeutete allgemeines Wohlbefinden und zweimal Herzstiche. Das mit dem Fuß notierte er nicht. Wie immer blickte er dann links auf die Wand, wo einige Zettel mit Reißnägeln befestigt waren. Es waren Aufrufe für die Kriegsanleihen, kernige Sinnsprüche: »Nicht sorgen und quälen, nicht die Feinde zählen, tu entschlossen still, was die Stunde will! Zeichnen Sie Neunte.« Daneben ein anderes Blatt: »Um Deutschlands Freiheit! Neid und Eroberungsgier verbinden die Feinde in Ost und West zum Überfall auf das emporstrebende Deutschland. Im Osten zerschlugen wir den eisernen Ring, und im Westen trotzen wir erfolgreich der feindlichen Flut. Mag der Kampf heiß werden, die vergeltende Gerechtigkeit wird uns die Kraft geben, auch diese Woge zu brechen! Deutsches Gut für deutsches Blut.«
    Der Oberstabsarzt las es jeden Morgen Wort für Wort und stärkte sich daran. Darauf machte er es sich an seinem Schreibtisch bequem, bevor er den Sanitätsfeldwebel zum Rapport befahl und gab sich wohltuenden Phantasien hin. Ich habe es doch eigentlich schon geschafft, ich bin heil, mit dem Herzen ist es nichts, der Krieg ist aus, in jedem Fall werden sie mir meine Pension geben, den Obstgarten bei unserm Häuschen werde ich erweitern, vielleicht nehm’ ich ein Nachbarstück zu. Er griff nach den Gärtnereikatalogen, die er unter seinen Akten versteckte.
    Da rasselte wieder ein Lastwagen mit johlenden Soldaten vorbei, der fuhr nach dem Flugplatz.
    Was geht hier vor? Sie sollen einen zufrieden lassen und keine Dummheiten machen. Die auch noch. Er öffnete das Fenster. Hier ist es auch überheizt.
    Als es klopfte und er unwirsch »herein« sagte, war es der dicke Stabsarzt aus Offenbach, Augenspezialist, der den Aufklärungsunterricht gab. Unsicher und gestört bewegte sich der Chef auf seinen Stuhl hin: »Setzen Sie sich, Herr Kollega. Sie erlauben, daß ich das Fenster offenlasse.« Der Stabsarzt setzte sich. »Ach so«, murmelte der Chef, »ich habe noch vergessen, Ihnen für den großartigen Vortrag zu danken, den Sie in der Baracke gehalten haben. Meinen Glückwunsch. Sie haben wohl gemerkt, den Leuten gefiel das. Land muß verteilt werden. Wir brauchen Boden. Eine gute Idee. Wissen Sie, daß schon die alten Römer den Soldaten Land gegeben haben.« Der Offenbacher verneigte sich geschmeichelt. Er hielt ein Blatt in der Hand: »Das sind die Themen, die ich für die nächsten Kurse aufgeschrieben habe, entsprechend der Anweisung. Wenn Herr Oberstabsarzt nicht beschäftigt sind ...« »Zeigen Sie mal her.« »Es ist die Einteilung bis zum 12.Dezember. Den Kurs vom 12.Dezember bis 11.Januar 1919 habe ich wegen der vielen Urlaube in dieser Zeit, Weihnachten, Neujahr, nicht skizziert.« »Schön, schön, Herr Kollega. Sehr fleißig. Der Posten gefällt Ihnen, habe ich gleich gemerkt. Es zieht Ihnen doch nicht hier? So. Man muß die Leute ermutigen.« Er kratzte sich den Kopf und nuschelte vor sich: »Waren Sie eigentlich schon auf der Straße, Herr Kollega? Was sagen Sie dazu?« Der Offenbacher verbeugte sich fröhlich. »Na, was meinen Sie?« »Sehr freundlich, Herr Oberstabsarzt, sehr geehrt.« Der Chef: »Na was?« Der Offenbacher wurde rot, machte kleine verlegene Verbeugungen: »Ich habe mich noch nicht damit beschäftigt.« »Sie können ruhig reden, wenn ich Sie frage.« »Sehr schmeichelhaft, Herr Oberstabsarzt.« Der Stabsarzt lächelte stolz, ja er strahlte: »Ich denke, man wird der Sache spielend Herr werden, mittags haben wir Truppen aus Straßburg hier.« Der Chef machte große Augen: »Aus Straßburg? Wer hat das erzählt?« »Ich denke, aus Straßburg oder von der Front. Von irgendwo werden sie doch kommen.« Mißbilligend betrachtete der Chef den Mann: »Straßburg. Da wird es nicht anders sein als hier.« »Zu Befehl.« »Und von der Front. Da können Sie lange warten. Die haben mehr zu tun, als Landsturm und Rekruten bändigen.« »Zu Befehl.«
    Der Oberstabsarzt zog sein Taschentuch und schneuzte
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