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November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)

Titel: November 1918: Eine deutsche Revolution: Erzählwerk in drei Teilen Erster Teil: Bürger und Soldaten 1918 (German Edition)
Autoren: Alfred Döblin
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Schippe in den Eimer und holte den Schirm.
    Wie sie mit dem vollen Eimer auf das Schilderhaus zuging, neben der breiten Schultreppe, staunte sie. Sie suchte. Sie wollte ihren Eimer wie jeden Morgen der jungen Schildwache zur Aufbewahrung geben, bis Mittag, wenn sie von der Arbeit kam. Der Bursche war nicht da. Drin schrien sie hinter dem geschlossenen Tor unentwegt weiter, es war schon ein Gebrüll. Die Alte, ihren Eimer in der Hand, war drauf und dran, an das Tor zu klopfen und Ruhe zu fordern. Sie stand schon mit einem zornigen Ausdruck da und hielt den Schirm erhoben. Dann erschreckte sie das Brüllen, sie drehte sich und zog ärgerlich ab. Um ihrem Groll Luft zu machen, marschierte sie schimpfend durch den Vogelschwarm hindurch. Sie bog in die stille lange Kasernenstraße ein.
    An einer Straßenecke wurde sie jeden Morgen von dem blinden Artilleriehauptmann erwartet, der ebenso früh aufstand und einen festgelegten Spaziergang um mehrere Häuserblocks machte. Er kannte genau die Schrittzahl von einem Straßenübergang zum andern, mit einer genau innegehaltenen Schrittlänge zog er Punkt sieben ab, den dünnen Spazierstock in der Rechten wie eine Antenne vor sich, er gab der Frau seinen Wohnungsschlüssel, sie ging dann zu ihm und machte ihm Kaffee, bevor sie ins Lazarett wanderte. Die gerade Straße war leer, die Alte kämpfte sich unter ihrem Tuch gegen den Sturm vorwärts. Ab und zu schlug sie die Fransen zurück, um sich zu orientieren. Der Fahrdamm war breit mit Wasser überschwemmt.
    Da stand der Hauptmann, lang und steif wie er war, im schwarzen Wintermantel, die Krempe des schwarzen Schlapphutes aus der Stirn geweht, so daß er dem Licht sein sehr weißes schmales Gesicht, das angehobene Kinn und die scharfen Halsfalten hinhielt. Er hatte den Kopf nach links gedreht, er hörte nur links, derselbe zu früh abgeprotzte Kanonenschuß auf dem Schießplatz, der ihm die Augen kostete, hatte auch das Gehör auf dem rechten Ohr zerstört. Sie erzählten in der Stadt, der Hauptmann sei ein böser Mann und verhaßt bei seiner Batterie gewesen, seine Leute hätten ihm zum Tort zu früh geschossen. Seine weißen Augäpfel funkelten unruhig. Er hörte die Frau in ihren Pantinen und rief soldatisch: »Frau Hegen.« Sie klapperte an, bot ihm guten Morgen und machte die übliche Bewegung nach seiner linken Hand, wo er den Schlüssel hielt. Aber er hielt ihn fest. »Haben Sie nachmittag Zeit?« »Heut nachmittag? Warum?« »Sie müssen mir sagen, ob Sie Zeit haben.« Er war immer eigensinnig, sie aber auch. »Ja Sie wollen wohl heute keinen Kaffee trinken. Geben Sie mir Ihren Schlüssel.« Er gab ihn nicht. »Wenn Sie nachmittag keine Zeit haben, muß ich mich woanders umsehen.« Die Alte fixierte ihn, heute hatten alle Dummheiten im Kopf, sie ging schon elf Jahre zum Hauptmann. »Ich muß packen«, erklärte der Hauptmann, als er nichts von ihr hörte. Sie dachte nach: »Wann soll ich kommen?« »Um zwei.« »Gut.« Da gab er ihr den Schlüssel, und sie gingen wie immer ohne Wort auseinander, er in Richtung auf den Wasserturm, sie in seine Wohnung, um ihren Eimer abzustellen und Kaffee zu machen.
    Die Tore des Schulhofes öffneten sich, das Geschrei tönte über die Straße, auf der Gegenseite sammelten sich Menschen, und drin formierten sich junge Soldaten ohne Waffen, manche rauchten Zigaretten. An die Spitze traten mehrere mit Gewehren. Lärmend und ohne Schritt zogen sie durch die Wasserfluten die Schulstraße herauf in die kleine Stadt ein, die noch im Schlaf lag. Hinter ihnen verließen Lastwagen und Automobile den Hof, voller schreiender und singender Soldaten, die Mützen und rote Bänder schwenkten, dabei auch bärtige Landstürmer. Sie sausten in der anderen Richtung die lange Allee nach dem Flugplatz hinunter.
    Im Lazarett, nahe dem Flugplatz, in einem Einzelzimmer der Chirurgischen Station lag ein Flieger. An der Kopftafel stand lateinisch Bauchschuß. Er dämmerte aus weiten Augen. Die große Krankenschwester in Weiß, die den klappernden Verbandwagen neben sein Bett ans Fenster schob, beugte sich über ihn: »Es geht heute besser, Herr Leutnant?« Er suchte zu lächeln, und sie erschrak. Er hatte tiefe Falten um den Mund, die Nase war dünn, ein graubläulicher Hauch über dem Gesicht. Er sprach langsam und verwaschen: »Danke – schön, Schwester.« Er bewegte den Kopf hin und her, seine Finger spielten. »Wollen Sie trinken, Herr Leutnant? Sie haben Durst? Ich bringe etwas.« Ach Gott.
    Sie lief in den
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